Ectropic Philosophie

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Definition

Weisheit (sophía): Wirklich weise ist derjenige, der mehr Anschauung (theōría) besitzt als Realität (Gegenständlichkeit) zerstören kann. (Indianisches Sprichwort) Und ›Philosophie‹ bedeutet: ›Freundschaft (philía) zur Weisheit‹.

Philosophie ist ein Verhalten, das unser Menschsein begründet. Es bricht den Schein (eikasía, aísthēsis) in Begriffe und vermittelt diese mit der leiblichen Verfasstheit zu Gunsten wirklichkeitsadäquater Wahrnehmung (epaís­thēma) und sinnvollem Handeln (politikḗ). Philosophie erzeugt optionale Reflexion, die zur Versöhnung des Gegenstands mit der Rezep­tion führt – beglückende Einsichten, denen wir unser menschliches Leben verdanken. – Sie ist für uns unverzichtbar, denn sie widersetzt sich bloßer Willkür und dient somit der Selbsterhal­tung des Menschen. – Sie überprüft unsere un­terschiedlichen Weltanschauungen auf Plausibi­lität und Widersprüche, wodurch sich eine Me­taebene des Wissens konstituiert, die unserem Menschsein eine sowohl sichere als auch be­freiende Orientierung verleiht.

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Vermutung, Bild-von-Bild-Orientierung

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sinnliches Wahrnehmen (Rezeption) / Empfinden

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ἐπαίσθημα – d. h. ein wissenschaftlich basiertes Erkennen

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sozialverbindliches Handeln

Diskurs-Thematik ab 2024

Die Kür – eine freie Auswahl philosophischer Themen

Einzelthemen

  1. Empathie und die Trias »Intuition – Fantasie – Intelligenz«
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    hier als die explizit generativen Momente eines Denkaktes (vgl. Diskurs-Thematik ab 2020, Themen 3, 11 und 16)

  3. Die Begrenztheit (péras) aller natürlichen Dinge – Leitmotiv der aristotelischen Vierursachenlehre
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    Platon bezeichnete ein wirklich Seiendes, also eine Sache, die dauerhaft und eigenständig existiert, als Seiendheit (ousía). Ein solches Seiende aber lasse sich nur bestimmen durch seine Teilhabe (méthexis) an seiner geistigen Idee (idéa), d. h. durch das Urbild (parádeigma) seiner Erscheinung bzw. durch seinen Begriff (eídos). Platon räumte daher den geistigen Gestalten der Ideenwelt einen höheren Wirklichkeitsrang ein als den natürlich sinnlichen, da diese sich wahrheitsgemäß nur durch die exakten Abgrenzungen jener unterscheiden lassen. … Doch wie sieht es mit der Bewegung (kínēsis) der natürlichen Dinge aus? Ist nicht auch die Bewegung gewissen Grenzen unterworfen, wodurch auch sie sich eindeutig bestimmen lässt? (vgl. Aristoteles, Phys. Α2, 184a 12 f.) – Die Physikḗ Aristoteles’ macht deutlich, dass sich aus der strukturellen und prozessualen Begrenztheit aller Dinge eine Unendlichkeit an Gestaltungsmöglichkeiten ergibt.

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    In seinen Physikvorlesungen (Physikḗs Akróaseōs) bestimmt Aristoteles die Bewegung (kínēsis) durch Anfang und Ende substanzieller Veränderungen. Bewegung ist demnach die Veränderung (metabolḗ) eines Seienden. (Phys. Α2, 185a 12 f.) Und die Substanz (ousía), bei Platon die „Seiendheit“, wird physikalisch definiert als ein Zusammengesetztes aus zugrundeliegendem Stoff (hýlē) und seiner Form (morphḗ). (Α7, 190b 19 f.) – Kombinatorisch ergeben sich daraus für die Substanz vier Zustände: Zwei zu Beginn und zwei am Ende der Veränderung. – Doch was bleibt dann noch als „Zugrundeliegendes“ (hypokeímenon), als „Subjekt“ oder „Substrat“ der Veränderung? – Bezüglich der formgebenden Gestalt (eídos) als Zugrundeliegendes verweist Aristoteles auf die „Erste Philosophie“. Die Naturwissenschaft (physikḗ) aber müsse davon ausgehen, dass die Materialität (hýlē) durchgängiges Subjekt sei. (Α9, 192a 23 - b 2) Denn physikalisch betrachtet ist sie als „Beharrendes“ Grund für das substanzielle „Streben“ nach der sie ergänzenden „Form“. (192a 13 f., 22 - 24) – Auf jeden Fall erweise sich die Natur (phýsis) als „ein Prinzip von Bewegung und Veränderung“. (Β1, 192b 12)

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    Das stoffliche „Streben“ (órexis) nach einer entsprechenden substanziellen Form sieht Aristoteles schon bei den materiellen Elementen gegeben. Diese befinden sich in Ruhe und Bewegung und üben so eine gegenseitige Wirkung aufeinander aus. Aus Aristoteles’ Sicht entstehen daraus als Erstes oben und unten und durch Mischung dann die weiteren elementaren Eigenschaften. Für die natürlichen Dinge gilt daher eine causa materialis: Die Form folgt dem Material. Umgekehrt gilt für die künstlich-technischen, von Lebewesen produzierten Dinge eine causa formalis: Stoff folgt der Form. Die beiden Bestimmungspunkte der Substanz, Stoff und Form, stellen jedoch nur konträre Extrema dar. Belebtes und Elementares sind jeweils in der Natur so mannigfaltig durchmischt (miktón), dass sich unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten daraus ergeben. Zu berücksichtigen sind zudem die beiden Bestimmungspunkte der verändernden Bewegung selbst, deren ersten Aristoteles als causa efficiens (Wirkursache) und zweiten als causa finalis (Zweck- oder Zielursache) bezeichnet. Letztere Causa (aitía) abstrahiert von der Substanz nennt man nach heutigem Kausalitätsverständnis einfach nur „Wirkung“, unabhängig davon, ob die bewirkende Bewegung zwangsläufig oder beabsichtigt erfolgte. Doch diese Unterscheidung wird für die Naturwissenschaften wieder zunehmend bedeutsam. …

  5. Mathematik: Schönheit und Güte der Symmetrie aus trigonometrischer Sicht
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    nämlich als Hinweis auf die Existenz von Individualität

  7. Aristoteles’ »Über Entstehen und Vergehen« alles (irdisch-)natürlich Sinnlichen
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    In dieser Abhandlung (altgr.: Peri genéseōs kaì phthorás, lat.: De generatione et corruptione), die unmittelbar an die Schrift Über den Himmel (Perì oūranóū / De caelo) anknüpft, lenkt Aristoteles seine Untersuchung auf den Unterschied von Geburt als das Entstehen schlechthin (génesis haplḗ) und einer bloß mitschleppenden Genese (schetikḗ génnēsē), die lediglich das Erscheinen einer neuen Qualität darstellt. Der naturphilosophische Ansatz dazu findet sich bereits in der Physikḗ (Phys. A7, 190b 17-20): „Wenn es Ursachen und Anfangsgründe des von Natur aus Vorhandenen gibt, […], dann entsteht alles aus dem Zugrundeliegenden und der Form(gebung)“ (jenes als Substanz, dieses als Eigenschaft). Aristoteles leitet daraus den begrifflichen Gegensatz „Formlosigkeit“ – „Form“ ab und bemerkt, dass eine „bloße Abwesenheit und Anwesenheit“ von nur einem dieser „Gegensatzglieder“ Veränderung (metabolḗ) bewirkt. (191a 5-8) Dabei geht das Materielle als Zugrundeliegendes (s. Thema 2) zwar wegen fehlender Bestimmtheit „im Wortsinn unter“, doch „nimmt man es nach seiner Mächtigkeit (dýnamis), so […] ist es unvergänglich und ungeworden.“ (Α9, 192a 25-30) Die Geburt stellt sich somit als ein Übergang (metábasē) von „materiell" ermöglichendem Sein zu „wirklichem“ Sein dar. (Γ1, 201a 27-29) Genau diese Position ist Ausgangspunkt von Über Entstehen und Vergehen. Es geht um die Frage: „Ist es also aus dem Grunde, weil das Vergehen des einen das Werden des anderen ist und das Werden des einen das Vergehen des anderen, dass der Wandel notwendigerweise unaufhörlich ist?" (Gen. corr. 318a 23-25)

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    Für die nach seiner Ansicht „ewigen" extraterrestrischen Himmelskörper schließt Aristoteles den Wandel (metabolḗ) durch Werden und Vergehen vollständig aus, was zwar nach damaligem empirischen Wissensstand in gewisser Weise plausibel schien, sich inzwischen aber durch die neuzeitliche Forschung als vollkommen falsch erwiesen hat. Doch entfällt die terrestrische Einschränkung, so erhält die Kernthese seiner Schrift nunmehr universelle Gültigkeit: „Dafür, dass das schlichte Werden existiert, indem es ein Vergehen gewisser Art ist, und das schlichte Vergehen, indem es ein Werden gewisser Art ist, ist die Ursache dargetan". (Gen. corr. 318b 33-35)

  9. Die Philosophie der Moral (Ethik) und ihre fünf Begründungsmodelle
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    Gegenüber den bereits im klassischen Altertum bekannten Ethikmodellen: Hedonismus, Utilitarismus, Eudämonismus und Heteronomismus, kreierte Immanuel Kant (1724–1804) als fünftes Modell eine sog. Pflichtethik, die er aus dem in seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) und der Kritik der praktischen Vernunft (1788) entwickelten Kategorischen Imperativ herleitete. Diese Moral des freien Willens (da durch die eigene autonomene sittliche Vernunft geleitet) gilt bis heute als grundlegendes politisches Bildungs- und Konstitutionsideal demokratisch-rechtsstaatlicher Gesellschaften. (Vgl. a. Kants Kritik der reinen Vernunft, 21787 und Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, 1784)

  11. Die Ideologie: Irreal Rationales versus das real Irrationale des Lebens
  12. Die kantsche Trias »Welt, Mensch und Gott« als Synonym für »Unendlichkeit, Freiheit und Unsterblichkeit«
  13. Hybris der Intellektualität – die Verdrängung des neuplatonischen Henophanie-Konzepts
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    Liegt „das Gute selbst“ als Quelle aller Schönheit und des Lebens für Platon und die Akademie noch außerhalb jeglichen Seins (authentische Transzendenz), also auch jenseits des Geistes (noūs), so versucht man vor allem außerhalb der Akademie das Prinzip des Seins im Sein selbst zu verorten. Neben dem monistischen Materialismus (Atomismus) entstehen Kynismus, Epikureismus, Stoizismus und später auch eine idealistische Christologie, die das Prinzip des Guten innerhalb des Seins zu bestimmen suchen. Dass die Götter der alten Griechen noch in einen überhimmlischen (hyper­urá­nios), unbestimmbaren (ápeiron) Ort „hinaufschauen“, von dessen Nektar sie „schmausen und sich erquicken“ (Platon, Phaidros 247c,e), gerät bald durch jene übersteigerte Erwartung an die Ontologie beinahe ganz in Vergessenheit.

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    Die Neuplatoniker Plotin (205-270) und Proklos (412-480) entwickelten aus der Selbsterkenntnis als das „Erscheinen von (sich selbst als) Eins/Einem“, oder modern ausgedrückt: dem Phänomen von Individualität und Einheit, ein kosmologisches System all dessen, was ist: eine sog. henophantische Ontologie. (s. Diskursthematik ab 2020) Alles Sein wird abgeleitet aus seinem hyperontischen Prinzip: dem Einen (to hen) – sowohl die geistige (kósmos noētós) als auch die sinnliche Welt (kósmos aisthētós) der Dinge.

  15. Wie der Seele wieder Flügel wachsenPlatons Lehre von den vier heilsamen Arten gottgewirkten Wahnsinns (manía)
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    Für Platon sind alle Seelen (als unbewegte Beweger) unsterblich, da alles, was nicht durch Äußeres bewegt oder verändert wird, ewig sein müsse. In seinem Wagenlenker-Mythos besitzen die Seelen-Rösser der Götter (als der begehrende und der eifrige Seelenteil, s.o.) noch Flügel, die der göttlichen Seele ermöglichen, durch Ausflüge und Schau in den über-himm­li­schen Raum Seelennahrung zu sammeln. Doch erhalten die Pferde nicht regelmäßig ihr Futter, so verdorren ihre Schwingen, die Seele materialisiert sich und ist infolge – erdgebunden – zur Seelenwanderung verdammt. Aber durch die Möglichkeit einer Verbindung mit den Göttern, einer Wiedererinnerung (aná­mnēsis) an das einst göttliche Leben und der Angleichung (homoíōsis) an ein den jeweiligen Seelenneigungen entsprechendes göttliches Vorbild, regeneriert das vertrocknete Gefieder, und die Flügel werden allmählich wieder flugfähig.

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    Platons Lehre vom gottgewirkten Wahnsinn entzündet sich an einem Vortrag des Rhetors Lysias, der die These vertritt, Verliebte seien nicht ganz bei Trost und daher bemitleidenswert. (Phaidros 230e - 234c) Daraufhin versucht Sokrates, der Protagonist des Dialogs, Lysias’ Rhetorik zu übertrumpfen und erweitert die Schilderung über die Verliebtheit um dessen vermeintliches Gegenteil: „die Überzeugung (dóxa), die nach dem Besten trachtet“. (237de) Diese führe zu tugendhafter Besonnenheit, erstere aber zu vielerlei lasterhaften Ausschweifungen. Daher verliere der Verliebte seine geistige Führungskapazität und damit den Nutzen für die Gesellschaft, und der in Abhängigkeit gehaltene Geliebte büße körperliche Stärke, Besitz und Sozialbindungen ein. (239a - 240e) Außerdem halte eine Treulosigkeit des Verliebten Einzug, denn sobald sein Verlangen entschwunden ist, möchte er sich nicht mehr an seine Versprechungen halten, die er dem Geliebten machte, als dieser „den Umgang, der ihm schon lästig war, noch ertrug in der Hoffnung auf Vorteile. […] So wird [der einst Verliebte] […] zum Ausreißer und Betrüger.“ Eine Liebesbeziehung sei wie das Verhältnis von Wolf zu Lamm. (240e - 241d)

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    Irritiert über seine eigenen Aussagen beendet Sokrates seinen Vortrag. Er befürchtet, dass er durch die Nymphen, denen er sich zu Beginn seiner Rede hingab, in Entzückung gerät, und möchte nun am liebsten von dannen ziehen. Phaidros, sein Dialogpartner, hält ihn zurück, worauf er sich zu einem Widerruf in Form einer Palinodie entscheidet. Seine innere Stimme (dai­mónion) habe ihn gewarnt, dass er sich gegen den Gott Eros versündigt hat. So kommt Sokrates auf die erste heilsame Art gottbewirkten Wahnsinns zu sprechen: die weise prophetische Inspiration (man[t]ikḗ), die er dem Sonnengott Apollon zurechnet [dem Zweideutigen (Loxías)], zweitens auf Gebet und Sühneopfer, dem Weihegott Dionysos [dem Sorgenbrecher (Lysíos)] zugeordnet, und drittens auf die erinnernde Wirkung von Kunst, Lied und Poesie, die er durch die Musen [Mnemoniden] veranlasst sieht. – Die vierte Art, bewirkt durch Eros und Aphrodite, aber verleihe der Seele auf besonders effektive Weise wieder Flügel. …

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    … Zudem bestehe aber auch für noch tiefer abgestürzte Menscheneelen eine Chance wieder aufzusteigen. (Phaidr. 248c - e) Doch gerade der anfangs von Lysias und Sokrates verfemte Liebesgott Eros wird zum Heilsbringer Nr. 1. Nicht im Sinne des Herrschergottes Zeus oder des Kriegsgottes Ares müsse der Verliebte agieren, sondern ganz unabhängig davon könne er, wie Eros, einzig seinem Verlangen folgend sich ausschließlich dem Wohlergehen seiner Geliebten, Prinzessin Psyche, widmen. (vgl. Apuleius: Amor und Psyche) Die erotisch liebenden Seelen und die ehrlich nach Weisheit strebenden schaffen es so im Gegensatz zu den sich anderen Göttern angleichenden, in weniger als einem Drittel derer Seelenwanderzeit wieder göttlich zu werden. „Für alle aber gilt, dass wer sein Leben gerecht führt bis ans Ende, ein besseres Los erlangt, wer ungerecht, ein schlechteres." (248e - 250c) Das durch Eros personifizierte Liebesverlangen allerdings weise am verlässlichsten den Weg, schon bald wieder göttliche Einblicke in den über­himm­li­schen Raum (tópos) jenseits alles Seins zu gewinnen, den Ort purer Wirklichkeit (enérgeia). (vgl. Themen 2, 2021 und 32, 2020)

  17. Das homöotische Streben im Verhalten zu sich selbst und in der Beziehung zum Anderen
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    Die Angleichung (homoíōsis) an ein Vorbild, sei es ein reales oder ideelles, geht aus der einfachsten Form von Lernen, der Nachahmung (mímēsis), hervor. Sie gehört damit zur Methodik von Erziehung und Bildung (paideía). – Auch für das dialektische Erkennen spielt das homöotische Streben eine wichtige Rolle: Unterbegriffe werden durch Sammlung (sýnopsis) an ihre jeweiligen Oberbegriffe »angeglichen«, um im Gegenzug dann durch deren Zerlegung in Unterbegriffe (diaíresis) eindeutig bestimmbar zu werden (Platon, Phaidr. 249b-c). Platons Schüler Aristoteles bezeichnet später eine vergleichbare Art von Streben (órexis) als ente­lé­cheia, wobei er zwischen causa materialis und causa formalis unterscheidet (s. Thema 2) Die heutige Naturwissenschaft wiederum verortet die Homöose in den Bereich des Lebendigen, genauer: in die zellularen Gewebestrukturen als die mehr oder weniger zufällige Fügung eines Gens im Hinblick auf die Ausbildung gewisser organischer Segmenteigenschaften. Aufgrund dieser Mutationsfähigkeit sog. homöotischer Gene realisiert sich auf phylogenetischer Ebene das, was wir gemeinhin Evolution nennen. (vgl. zudem a. „Tunneleffekt“ und „Rückkopplungsschleife“)

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    Während die biologische Homöose auf ontogenetischer Ebene sich durch eine Vielzahl an parasitären Symbiosen vollzieht, gewährleistet die dialektische Homöose Zugang zum Intellekt, der mentalen Ebene des Seins. Die kategorisch vorsortierten Sinneseindrücke werden allgemein verständlichen Begriffen zugeordnet. – Auch hier gilt: Die Symbiose (als Gesellschaft) geht dem eigentlichen Prozess (des Erkennens) voraus, da ein Zugang zur gemeinsamen Welt der Begriffe (kósmos noētós) erst durch Erziehung und Bildung gelingen kann. Daher ist die Homöose als Angleichung an pädagogisch wertvolle Vorbilder für die Menschwerdung außerordentlich bedeutsam. Dabei erweist sich als einzig sinnvoll eine emanzipatorische Bildung, die dazu anregt selbst zu einem Vorbild zu werden. – Im Verhältnis zu sich selbst übernimmt dann zunehmend das Prinzip des Guten und Schönen die homöotische Leitung. (vgl. a. „He­na­den", in: Proklos, ETh, Prop. 113 - 127)

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    Mag das eigene Ideal als das Gute und Schöne oder als Henade (henás) für sich selbst auch eindeutig definiert sein, in der Beziehung zum Anderen, zumindest inhaltlich, ist es doch stets individuell und recht unterschiedlich. Denn gerade diese Unterschiede sind der Motor jeglicher Entwicklung. Daher richtet sich das Interesse der Gesprächspartner in einem an der Wirklichkeit orientierten Dialog stets auf dieses Neue, Fremde und Unbekannte. Erst durch die symbiotische Begegnung mit einem leibhaft Anderen generiert sich die Homöose und zeigt sich anschließend auch konkret realisiert. (Zu „Begegnung" s. u.: Thema 2 ff., 2016) Denn konkret werden wir erst mit diesem Neuen und Fremden, welches „zwischen" uns in einem „echten Dialog" entsteht. (ebd.) Nur durch den Anderen und dieses stets Neue, Unbekannte und Fremde gelangen wir zu unserer eigenen Identität und werden authentisch. Ort des homöotischen Geschehens ist somit jenes „Zwischen", aus dem heraus sich auch jedes natürliche Leben evolviert.

  19. Evolutiver Wandel der Politik – Demokratie als das Konzept der leeren Mitte
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    im Gedenken an Claude Leforts (1924 – 2010) Überlegungen zum Verhältnis von Totalitarismus und Demokratie

  21. Wenn unser Universum auch eines Tages in absoluter Kälte erstarren wird, was können wir bis dahin doch nicht alles an Schönem und Guten tun?!

Diskurs-Thematik ab 2023

Menschlichkeit – Abstraktion, Transzendenz und Ethik (soziale Verantwortung)

Einzelthemen

  1. Der Schrecken der Natur (phýsis) und das Entlarven von Scheinwissen (dókos) – der Anfang aller Wissenschaft (epistḗmē)
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    Die sokratische Lehre vom Scheinwissen nimmt vermutlich bei Xenophanes von Kolophon ihren Anfang: „Und ein Scheinwissen ist auf allem bereitet.“ (DK B 34) Die verkürzte, oft falsch zitierte Redewendung oída ouk eidṓs aus der Verteidigungsrede des Sokrates (Platon, Apologie 22d) aber lautet übersetzt: „Ich weiß als Nicht-Wissender“, oder: „Ich weiß, dass ich nicht weiß …". Für Sokrates geht es hierbei nicht um nichts (oudén), sondern darum, ein bloßes Meinen (dóxa) als ein Nicht-Wissen zu betrachten. Diese Unterscheidung von Meinen und Wissen wird von Platon dann insbesondere im Liniengleichnis (Politeia 505a ff.) genauer bestimmt. Das Wissen scheidet sich demnach vom Meinen im Wesentlichen durch ein vorausgehendes Abstraktionsverfahren a) der in hypothetisierten Begriffen und Sätzen operierenden Mathematik und b) der von einem Setzen (ex hpyothésōs) von tatsächlich im Sein gründenden Grundannahmen ausgehenden Wissenschaft (epistḗmē). – Mehr dazu im folgenden Thema 2.

  3. Dianoetische und epistemische Abstraktion und ihre umterschiedlichen Prämissen und Ergebnisse
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    Während das verstandesmäßige Denken (diánoia) das Wahrgenommene nur auf bloß Gelerntes (máthēma) hin abgleicht, abstrahiert das wissenschaftlche Denken (epistḗmē) aus dem Wahrgenommenen einen Gegenstand an sich, nämlich dessen sog. Idee (idéa) oder Seiendheit (ousía). Zwar führt schon die Schulung des Verstandes (máthē) durch das Erlernen folgerichtigen Denkens über den Bereich des Meinens hinaus, doch erst durch ein streng wissenschaftliches Denken vollzieht sich die Trennung komplett, und der geheimnisvolle Schleier des Scheinwissens lüftet sich. (vgl. Themen 23–30, 2020) Zur diskursiven Hypothesenbildung und der Erweiterung von Wissen siehe insbes. den Begriff Abduktion von Charles Sanders Peirce.

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    Bei dem Gelernten (máthēma), speziell der Mathematik handelt es sich im strengen Sinne nicht um Abstraktes, sondern bloß um gedanklich konstruierte Ähnlichkeiten mit den Dingen. Das dianoetische Denken ist daher wie ein ambitioniertes Spiel (Plat. Parm. 137 b u. Procl. in Parm. 1036 1 ff.) und dient der formellen Überprüfung und Entdeckung komplexer Vorgänge. Hingegen sind die Prämissen des epistemischen Denkens die rezipierten Dinge selbst, die durch die Abstraktion auf ihr Sein, d. h.ihre eigentlichen Beschaffenheiten und Wirklichkeiten zurückgeführt werden. (vgl. Thema 26, 2020)

  5. Das Gute, Schöne und Wahre – Leitgestirn von Kunst und Wissenschaft
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    Schön und gut (kalokagathía) war bereits bei den Sophisten ein geflügeltes Wort, doch fehlte noch gänzlich ein Verständnis von Wahrheit. Stattdesen war für die Sophisten der Mensch, und zwar in all seiner Arbitrarität, Maß aller Dinge. Die Philosophen Sokrates und Platon sahen sich daher veranlast, das Gute und Schöne besonders im Verhältnis zur Wahrheit zu untersuchen. Die Trias schön-gut-wahr wurde fortan zum Grundelement von Platons Ideenlehre. Schließlich identifiziert Plotin (205–270) das Gute als das Eine (to hen, vgl. Platon, Phaidon 96 f.), denn dieses ist sowohl Prinzip der Einheit des Ganzen als auch Prinzip der Einheit eines jeden Seienden. (Enneaden VI 9, 1, 1) Erfahrbar wird dies überseiende Gute/Eine als die Schönheit an sich, als ein Licht, das uns die Wahrheit jener Einheiten einleuchtend und transparent werden lässt. Demnach lässt sich die Wahrheit als eine Stimmigkeit des Einzelnen mit dem Gesamten und dessen Transzendenz zurück in jenes Eine/Gute auffassen. Vgl. epistrophḗ (Einzelthemen 11 und 16 des Diskurses ab 2020)

  7. Das Sprachvermögen als kluger Wagenlenker menschlichen Lebens
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    altgr.: λογιστικόν (logistikón), i. allg. Üb.: die menschl. Erkenntniskraft, Vernunft, bzgl. des Erkennens sinnlicher (aisthētós), seelischer (psychikós) und geistiger (noētikós) Gegebenheiten (prágmata) und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten menschlichen Handelns

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    Nach Platon besteht die menschliche Seele a) aus einem passiv appetitiven Teil, dem sog. epithymētikón (das Begehrende), welches durch unsere Wahrnehmung bestimmt wird, b) aus einem aktiv regsamen Teil, dem sog. thymoeidḗs (das Eifrig-Resolute), das aus dem Vielerlei der Meinungen (resp. der Erfahrungen) entspringt, und c) aus einem denkfähigen Teil, dem sog. logistikón (das Vernünftige), welches um derlei bemüht ist, was der Seele in Gänze guttut. Letzteres wird in einer Seelen-Allegorie Platons (Phaidros 253c ff.) zu einem Wagenlenker, der die beiden ersten Seelenteile als zwar unterschiedliche, aber dennoch anpassungsfähige Zugpferde gelungen zu lenken vermag, handelt es sich doch gerade bei dem letzten und jüngsten Seelenteil (vgl. Nomoi 644c ff.) um das essenziell Menschliche. In seiner Politeia (588c bis 592b) bezeichnet Platon das logistikón zuvor auch als den Menschen im Menschen (589a). Gelingt diesem eine harmonische Integration der beiden niederen Seelenteile, so wird man zu einem klugen, wahrhaft freien und gerechten Menschen – besonnen, tapfer und weise in Einem.

  9. Das Wissen über die Genese der Klugheit in Platons Marionettengleichnis (Nomoi 643b–645c)
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    In diesem Gleichnis wird das epithymētikón (s. Thema 4) als das basale Empfinden von Schmerz und Lust expliziert. Durch die Entwicklung des Erinnerungsvermögens erwachsen aus den gewonnenen Erfahrungen dann Meinungen in der Gestalt von Erwartungen (vgl. thymoeidḗs). Es entstehen Zuversicht und Furcht als die ersten Anzeichen einer Klugheit (phrónēsis). Schmerz, Lust, Furcht und Zuversicht werden allegorisch zu den eisernen Drähten einer Marionette, die allerdings Verwirrung stiften und daher für ein menschliches Leben nicht ausreichen. Es bildet sich ein fünfter, „goldener“ Draht: die Klugheit, „die vernünftige Überlegung darüber, was denn eigentlich als besser oder schlechter dabei zu betrachten ist.“ (ÜB: Otto Apelt) Bei der Klugheit handelt es sich demnach um die ethische Kompetenz das Bessere von dem Schlechteren zu unterscheiden. (vgl. Thema 27, 2022)

  11. Die Klugheit als allgemeine Gesetzgebung im Hinblick auf die Vielzahl an Bedürfnissen und Meinungen
  12. Wenn die Klugheit fehlt – Über die Gefahr eines Rückfalls in die Barbarei
  13. Das Moravecsche Paradox – menschliche Intelligenz und maschinelles Lernen
  14. Informeller Dialog und funktionaler Monolog – der wesentliche Unterschied zwischen natürlichen und künstlichen Sprachen
  15. Der Atem der Welt – die deduktive Top-Down- und die induktive Bottom-Up-Bewegung
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    i. S. v.: Verstehen wir die Welt, so verstehen wir uns selbst.

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    i. S. v.: Verstehen wir uns selbst, so verstehen wir die Welt. Eine Induktion führt jedoch nur dann zum richtigen Ergebnis, wenn sie sich vollständig in einen deduktiven Beweis überführen lässt. Ansonsten handelt es sich lediglich um eine Behauptung.

  17. Die abduktiv-diskursive Denkbewegung und ihre generativen Momente Atopie, Utopie und Heterotopie
  18. Die leere Mitte – notwendige Voraussetzung für einen gesellschaftlichen Ethik-Diskurs
  19. „Humanitas“ – oder auf gut Deutsch: „das Mitgefühl“
  20. Das Tierische und das Maschinelle als die beiden Ausgangspunkte für eine Ätiologie der Unmenschlichkeit
  21. Individuelle Freiheit – Bedingung und Ziel von Recht und Gesetz
  22. Freiheit in der Gestaltung der Zukunft versus Determinismus des Vergangenen
  23. Formen der Motivation: Freiheit und Mitgefühl statt Angst und Terror
  24. Ethik als die unbedingte Verbundenheit von Freiheit und Mitgefühl
  25. Info-Box

    In English: Ethics as the unconditional mutual attachment of freedom and sympathy

  26. Freiheitliche Emergenz oder emanativer Fatalismus?
  27. Der Akt des Mitgefühls: das »Teilen« oder »Allozieren« als Mehrung von Freude und Minderung von Leid
  28. Der dialektische Aspekt des Mitgefühls: die »Re-Subjektivierung« der Dinge (Georg Lucács) als »Erlösung« aus ihrer Entfremdung (Ernst Bloch)
  29. Ausblick: Intuition und Empathie – ein Widerspruch?

Diskurs-Thematik ab 2022

Von der Logik zur Grammatik: unsere Welt der Tat – streng postplatonisch, ganz interaktiv

Einzelthemen

  1. „Und man wendete sich zu seinem Nachbarn (plēsíon állon) …“ (Homer: Ode 10, 37 ff.) und der altaramäische Begriff qarrī ́b (Mitmensch)
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    Hom. Od. 10, 37 ff.: „Und man wendete sich zu seinem Nachbarn und sagte: Wunderbar! Dieser Mensch gewinnt die Achtung und Liebe aller Menschen, wohin er auch kommt, in Städten und Ländern!“ (ὧδε δέ τις εἴπεσκεν ἰδὼν ἐς πλησίον ἄλλον· »ὢ πόποι, ὡς ὅδε πᾶσι φίλος καὶ τίμιός ἐστιν ἀνϑρώποισ', ὅτεών κε πόλιν καὶ γαῖαν ἵκηται.) Vgl. a. Hom. Il. 2, 265 ff. oder etwa 2 Jh. später Herodot: „Dies jedoch weiß ich ganz genau, nämlich das, wenn alle ihre eigenen Sorgen zu Markte tragen, um sie mit ihren Nachbarn (plēsíoisi) zu tauschen, gebe es keinen Menschen, der, nachdem er die Sorgen der anderen zu Gesicht bekam, sie glücklich mit nach Hause nehme.“ (Hdt. 7,152,2)

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    Aus der Spruchsammlung des Achiqar (um 700 v. Chr.): „Sohn, was dir übel erscheint, tue deinem Mitmenschen nicht an. Was immer du willst, dass es die Menschen dir tun, das tue du allen.“ (vgl. Jeffrey Wattles: The Golden Rule, 1996, 37ff.)

  3. Eine erste wissenschaftliche, d. h. auf Wahrheit hinzielende Definition der Goldenen Regel durch den Sophisten Isokrates (436–338 v. Chr.)
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    „Tut anderen Menschen nicht an, worüber ihr empört wäret, wenn ihr es selbst erfahren müsstet. Was immer ihr mit Worten verurteilt, dies setzt auch niemals in die Tat um.“ (Rede des Nikokles an die Zyprioten, 3,61)

  5. Der Wahrheitsbegriff in der Praxis – ein Rekurs auf Bewährtes, auf etwas, das Bestand hat
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    Etwa zur gleichen Zeit wie Siddhartha Gautama (Buddha) sah auch Heraklit von Ephesos (um 520 - ca. 460 v. Chr.) die Natur in ständigem Wandel. Heraklit erkannte, dass allein die Sprache (lógos) eine „ewige“ Zuverlässigkeit bietet: „Alles geschieht nach diesem [ewigen] Logos“. (DK 22 B 1) Er forderte dazu auf, aus den individuellen Träumen und Konstruktionen zu einem Bewusstsein zu erwachen, das auf die Natur hinhört und die Sprache als Denk- und Weltgesetz begreift: „Richtiges Bewusstsein ist die größte Tugend, und Weisheit (ist es), Wahres zu sagen und zu handeln nach der Natur, auf sie hinhörend.“ (DK 22 B 112) Der Logos sei wie ein Flussbett, desgleichen man den Fluss des Wandels aber auch durch Uferbefestigungen lenken kann; d. h. durch ein Verständnis der Sprache der Natur lässt sich mittels eigener Überlegung (lógos) und entsprechenden Handelns der Lauf des Schicksals mit- und umgestalten. – Selbstredend also umso besser, je besser man die Natur versteht. Wahrheit ist demnach die Kongruenz von der eigenen Sprache mit der der Natur. (s. Korrespondenz- oder Adäquationstheorie)

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    Die Verknüpfung von Schicksal und Sprache findet sich bereits im Sanskrit und insbesondere im Hebräischen, wo der Begriff Wahrheit sich von der Treue herleitet, als Treue von und zu dem Wort: Denn das menschliche Leben ist aufs Sprechen angewiesen, es ist schon von jeher „in die Sprache gestellt“ …

    Info-Box

    Auch „das früheste Sprechen hat nicht, wie ein Schrei oder ein Signal, sein Ende in sich: es setzt das Wort aus sich ins Sein, und das Wort besteht, es ist Bestand. Und der Bestand gewinnt sein Leben stets neu in der wahrhaften Beziehung, in der Gesprochenheit des Wortes.“ (Martin Buber: Das Wort, das gesprochen wird, Vortrag, München 1960) In diesem Fall bezieht sich der Wahrheitsbegriff nicht auf das Verhältnis von Mensch zu Natur, sondern auf das von Mensch zu Mensch. Die Wahrheit ist hier nicht Kongruenz, sondern die Verbindlichkeit des Gesprochenen selbst, gerade in Hinsicht auf die individuellen Unterschiede der Gesprächspartner. (s. Kohärenztheorie)

  7. Theologischer Exkurs: Die Sprache als Schöpfungsakt und ihre Funktionalität als göttliche Offenbarung und Erlösung
  8. Der Absolutheitscharakter der Sprache: weder objektiv noch subjektiv, sondern beides zugleich
  9. Das Generieren von Sprache durch bloßes Miteinander-in-Beziehung-Treten
  10. Der Anspruch als Entscheidungsgrundlage für ein Ablehnen oder Annehmen desselben
  11. Info-Box

    … das intentionale Anspechen eines Mitmenschen (Das deutsche Wort Anspruch bedeutet Jemanden-Ansprechen, aber auch zugleich Absicht oder Erwartung.)

  12. »Nur der Wille allein« – die Epoché als notwendige Bedingung für ein echtes Gespräch
  13. Info-Box

    … zu einem Miteinander-in-Beziehung-Treten

    Info-Box

    … das skeptische Ansichhalten und Zurückhalten von Urteilen (Duden) – Ähnlich wie die Disposition für die Ideen-Schau (Thema 23, 2020) ist die Voraussetzung für ein wahrhaftes In-Beziehung-Treten das Überwinden- oder einfach nur das Loslassen-Können von vorgefassten eigenen Meinungen und Kalkülen.

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    d. h. ein Gespräch, das verbindliche Wahrheit(en) generiert

  14. Geheimnis des Egos: „Du bist, weil dir ein Name gegeben wurde.“
  15. Individualität und Persönlichkeit – die Sprache als Mittler und Speicherstätte
  16. Die heuristische Synonomie von Licht (phōs) und Sprache (lógos) – die Lust und der Anspruch, als Einzelnes alles zu sein
  17. Info-Box

    i. S. v. Lust auf …, gemäß dem platonischen Eros (érōs)

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    i. S. v. dem Streben (órexis) der natürlichen Dinge, vgl. Aristoteles’ „Entelechie“ (entelécheia)

  18. Die Psychologie des Trotzes – Selbstbehauptung und Widerstandsgeist
  19. Die Grundworte der Sprache: das Nein des Trotzes und das Ja der Liebe
  20. »Freiheit« oder die Fähigkeit entschlossen Entscheidungen treffen zu können
  21. Info-Box

    d. h. auch jenseits logischer Schlussfolgerungen oder instinktiver Bestimmung (i. S. v. resolut intentional statt determiniert kausal). Denn jeder Mensch kann als kleiner Kosmos („Mikrokosmos“) inmitten des großen „alle Zweckmäßigkeit [nur] aus der Concurrenz absichtsloser Zufälle“ ableiten. (Lotze, Metaphysik, 4,2) Ob eine solche Ableitung den passenden Wert zur Intention ergibt, ist an dieser Stelle noch unentschieden. Der Entschluss generiert lediglich eine „Geltung“, die bzgl. der Intention auch völlig falsch sein kann. (vgl. Thomas-Theorem)

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    „Richtige“ Entscheidungen führen zu einer Versöhnung von Objekt (dem „Entgegengeworfenem“) und subjektiver Intention. – Aus dem einfachen logischen Wertepaar Ja-Nein wird eine expansive sprachliche Grammatik, die das Verhältnis Subjekt-Objekt beschreibt, nicht aber die Welt als ein objektives System. (ein „ontologisches Missverständnis“ nach Lotze)

  22. Entscheidungsfreiheit – Grundlage individueller Moral und gesellschaftlicher Rechtsnormen
  23. »Demokratie« oder die Kunst multiperspektivischer Zusammenschau und gemeinsamen Handelns
  24. Demokratie – notwendige Voraussetzung für Frieden und dauerhaftes Glück
  25. Das Geheimnis des Sozialen: „Wir sind, weil uns ein gemeinsamer Name gegeben wurde.“
  26. Diskursives Denken und das daraus resultierende Problem einer ausschließlich »negativ« verstandenen Freiheit
  27. Keine Freiheit ohne Transzendenz: Dialektisches Denken – notwendige Voraussetzung für ein Verständnis »positiver« Freiheit
  28. Das transzendentale Plateau des Schweigens – Sein und Nichtsein zugleich
  29. Wenn schon Transzendenz, dann wohin?! – Oder: Woher kommen wir, und wohin gehen wir?
  30. Die Notwendigkeit demokratischer Kontrollstrukturen für einen Übergang vom Prinzip gesellschaftlicher Führer-Ordnungen zu einer Stakeholder-Kultur
  31. 50 Jahre „Gier ist gut“ und die aktuellen Herausforderungen an Fantasie und Logos des Menschen
  32. Info-Box

    Gordon Gekko (Michael Douglas) in Oliver Stones Spielfilm Wall Street, frei nach Nietzsches Umwertung aller Werte und Milton Friedmans Shareholder Primacy (s. Milton Friedman: „A Friedman doctrine — The Social Responsibility Of Business Is to Increase Its Profits“, New York Times, Sept. 13, 1970) Für den Nobelpreisträger Milton Friedman (1912–2006) kam eine unternehmerische Förderung sozialer Ziele einem Sakrileg gleich: Wenn Unternehmer „erklären, dass es den Unternehmen nicht nur um den Profit geht, sondern auch um die Förderung wünschenswerter sozialer Ziele, […] predigen sie […] den reinen und unverfälschten Sozialismus. Geschäftsleute, die so reden, sind unvwissende Marionetten der intellektuellen Kräfte, die in den letzten Jahrzehnten die Grundlagen einer freien Gesellschaft untergraben haben.“ (ebd.)

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    als Kreativpool origineller Ideen zur gemeinsamen Bewältigung anstehender Aufgaben

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    Eine „gute“ erzählerische Mitteilung „origineller“ Ideen bewirkt eine Skalierung ihrer Umsetzung in Lösungsmodelle und anschließende Projekte. Unternehmerische „Erklärungen“ sind entgegen der Friedman-Doktrin schon per se durch ihren narrativen Charakter sozial, und explizit durch die Definition von Ökonomie als Sozialwissenschaft, denn der Zweck von Wirtschaft ist die Bedürfnisbefriedigung eines Haushalts, d. h. allgemein einer sozialen Gemeinschaft. Eine Unterdrückung sozialer Zwecke widerspricht also dem Sinn von Ökonomie gleichermaßen wie die Unterdrückung individueller Freiheit und Mitbestimmung in sozialistischen, faschistischen und anderweitigen Diktaturen. Offensichtlich bezweckt das Modell Friedmans den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, was eine Spirale von Terror, Gewalt und grenzenloser Umweltzerstörung bewirkt. Denn Freiheit und Solidarität widersprechen sich nicht, sondern bedingen einander.

  33. Utopische Visionen oder der Weg in eine bessere Welt von morgen
  34. Info-Box

    mit einer Einleitung in das Thema Utopie (PDF). Es geht um eine „Neufassung des Begriffs der Utopie in der politischen Philosophie.“ (Zum Utopie-Begriff und seiner Bedeutung in der Politischen Philosophie in: Ulrich Arnswald und Hans-Peter Schütt, Thomas Morus' Utopia und das Genre der Utopie in der Politischen Philosophie, KIT Scientific Publishing 2010, S. 35)

  35. Menschlichkeit versus eine Renaissance vom „Gleichgewicht des Schreckens“
  36. Info-Box

    in Rückbesinnung auf die akademischen Weisheitstugenden Besonnenheit (sōphrosýnē), mutvoll lautere Tapferkeit (andreía) und Gerechtigkeit (dikaiosýnē) als die basalen Voraussetzungen gesellschaftlichen Wohlergehens (eudaimonía)

  37. Wohlberatene Klugheit (phrónēsis) statt philiströse Schläue (deinótēs)
  38. Info-Box

    s. euboulía = Wohlberatensein, Einsicht, praktisches Können (Arist. NE 1142b) als „Richtigkeit des Rates“ aus einem „Mit-Sich-zu-Rate-gehen“ und „auf das Erlangen eines Wertvollen“ zielend. („Glück“ [eudaimonía] als uneingeschränktes Endziel) euboulía bedeutet also die Richtigkeit bezüglich dessen, was zu diesem Ziel führt, aber zugleich auch „zutreffend“ von entsprechender „sittlicher Einsicht“ (phrónēsis) erfasst wird. (NE 1142b 34f.) D. h.: Ein Intellekt (dianoētikón) kann also nur dann als klug (phrónimos) bezeichnet werden, wenn er „generell zutreffend“ auf ein „allgemeines Wohlergehen“ hin agiert. …

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    … Eine Verstandestätigkeit (diánoia) ohne ethische Kompetenz hingegen wird in der NE als deinótēs bezeichnet: Schlauheit, Raffinesse, Furchtbarkeit, Strenge, Härte; oder abwertend: Gerissenheit.

  39. Der Weg der Liebe: Agápē, Storgḗ, Philía und Érōs
  40. Info-Box

    … oder modern: glücksfördernde Libido statt leiderzeugende Habgier (pleonexía → Thema 4, Diskurs-Thematik ab 2017) oder Wahnsinn, Raserei, Wut (manía)

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    … i. S. v. vertrauens- und lustvoller Hingabe (i. e. S.: Liebesmahl), vgl. a. hēdonḗ: Lust, Vergnügen, sinnliche Begierde, und das lateinische diligere: hochachten, lieben

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    … elterliche Fürsorge (Caritas)

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    … Freundschaft, freundliches Miteinander, s. a. philadelphía: geschwisterliche Liebe, und philoxenía: Gastfreundschaft

    Info-Box

    … das Liebesbedürfnis schlechthin (Vereinigungstrieb, Liebe zum Einen und Guten), lat.: amor (Liebe, Liebschaft) wie auch libido (Begierde, Verlangen [gr.: órexis]) zugleich

Diskurs-Thematik ab 2021

Das neuplatonische Konzept von Wahrheit und Wirklichkeit:
Das Eine (to hen), Gott (theoũ lógon) und die begehrende Liebe (ho érōs)

Einzelthemen

  1. Die Möglichkeit des Umlenkens seelisch-diskursiven (Unter-)Suchens auf die innerliche, dialektisch-autopoietische Agilität des Geistes
  2. Info-Box

    … nämlich auf das Denken selbst als Erleben, Erkennen und Gestalten

  3. Das Eine: das überseiende Prinzip alles Seienden (hyperóntōs), die reine Wirklichkeit (enérgeia)
  4. Info-Box

    Das Eine ist allgemeinstes Prinzip allen Seins. Es ist ursprüngliche Affirmation und Negation zugleich, nämlich die Bejahung des Nichtnichts wie auch die Verneinung des Nichts in eins. Es ist – da es das Prinzip des Seins ist – überseiend (hyperóntōs), zugleich aber auch – durch das Affirmation (von Sein) und Negation (von Nicht-Sein) verbindende ›und zugleich‹ – die Wirklichkeit (enérgeia) von allem.

  5. Der Geist (noūs), Hypostase des Einen – Produktionsstätte der platonischen, streng hierarchisch strukturierten Ideen: „göttliche" Intelligenz (theoũ lógon)
  6. Die (Welt-)Seele, Hypostase des Geistes – Vermittlungsinstanz von Selbigkeit und Andersheit, diskursive Substitution der Ideen-Rangordnung
  7. Die urbildliche Ordnung (kósmos noētós) aus Einem, Geist und (Welt-)Seele
  8. Die ewige Präsenz des Geistes und das Chronologische der Seelenaktivität
  9. Das sinnlich Wahrnehmbare (kósmos aisthētós) – Abbild (eídōlon) der urbildlichen Ordnung, die tatsächliche Welt der Dinge (tà prágmata)
  10. Die Natur (phýsis), Hypostase der Weltseele, und die sinnlichen Formen (morphés), Abbilder (eídōla) der Ideen
  11. Die Urmaterie (hýlē): Hypostase der Natur – Nichtseiendes (mē ón), pure Mächtigkeit (dýnamis) und der Zerfall aller Formen ins Dunkle (cháos)
  12. Die Einzelseelen und der Eros (érōs), Motor der Vermittlung (méson), des Erkennens (gnṓmē) und der Selbstaufhebung des Denkens (ékstasis)
  13. Die Wahrheit (alḗtheia) erkennen – die triadische Gestalt (skhḗma) der Ideen im Lichte des Prinzips des überseienden Einen
  14. Platons EudaimonieSymmetrie als Sinfonie der Gesellschaft und Harmonie des Einzelnen
  15. Info-Box

    altgr.: εὐδαιμονία (eudaimonía)

    Info-Box

    altgr.: συμμετρία (symmetría)

    Info-Box

    altgr.: συμφωνία (symphōnía)

    Info-Box

    altgr.: ἁρμονία (harmonía), wörtlich: (In-)Eins-Fügung

  16. Wahrheit und das befriedigende Heureka-Gefühl des Evidenzerlebnisses
  17. Das Begehren (érōs) und das empirische „Dunst der Dünste" (havel havālīm) des salomonischen Versammlers: „Alles ist Eitelkeit." (Kohelet 1.2)
  18. Das überseiende Eine (hen), die Vergöttlichung des Denkens (nóēsis) und das Geheimnis der Henaden (göttlich schickalhafter Bahnen)
  19. Die Denkbeobachtung – Urphänomen und Methode aller Wissenschaft und Philosophie
  20. Info-Box

    altgr.: hē noḗseōs theōría. Da es unmöglich ist ein gegenwärtiges Denken zu beobachten (tätiges Hervorbringen und beschauliches Gegenüberstellen vertragen sich nicht), kann allein die Erfahrung (vgl. Husserls Retention bzw. Bergsons souvenir du présent) eines Denkprozesses zum Objekt der Beobachtung werden. Es sind also die (be-)greifbaren Spuren des Denkprozesses, die er hinterlässt, mit denen wir uns begnügen müssen, da er bereits vollzogen und vergangen ist. In dieser Beobachtung eines (erfahrenen) Denkens treffen wir auf a) das Denken, von dem wir unmittelbar nur wissen, dass wir es vollzogen haben (s. Plotins hēmeís), und b) auf das durch das Denken Produzierte (die Wahrnehmung), dessen wir uns während des Denkaktes bewusst geworden sind und das nun als ein auf das Tableau unserer Erinnerungen projiziertes Resultat wahrnehmbar ist. Es stehen sich somit denkendes Ich (hemeís) als Kogitant und die Wahrnehmung als Kogitat gegenüber, wobei die Wahrnehmung entweder eine von innen bzw. außen bereits vorgegebene oder aber auch ein selbstproduzierter, fertiger Begriff sein kann. Indem das Ich aber bei der Denkbeobachtung sein eigenes Verhalten in Begriffe fasst und objektiviert, steht es nunmehr den wahrgenommenen Phänomenen in einem Verhältnis aktiver Freiheit (eleuthería) gegenüber.

  21. Oszillation des Denkens: die Trias »VerharrenHervorgangRückkehr«
  22. Info-Box

    altgr.: μονή (monḗ) der Kognition – der Denktätigkeit (nóēsis) des Akteurs, also generell des Geistes (noūs) bzw. spezifisch des Ichs (hemeís)

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    altgr.: πρόοδος (próhodos) des Kogitats – Identifikation mit dem Wahrnehmungsobjekt, Auslöschung der Selbstwahrnehmung, ähnlich dem Vorgang des Einschlafens

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    altgr.: ἐπιστροφή (epistrophḗ) des Kogitanten – Identifikation mit sich selbst, Selbsterinnerung, Selbstbewusstsein, vergleichbar mit dem Vorgang des Aufwachens

  23. Geist (noūs) und Verstand (diánoia), Idee (idéa) und Sprache (phṓnēma)
  24. Hierarchische Dihairesis – Gattung (génos) und Spezies (eídos)
  25. Info-Box

    d. i. das Allgemeine (Wesen)

    Info-Box

    d. i. das Besondere (Dasein)

  26. Erzeugnisse des Denkens: Nachahmung (mímēsis), Teilnahme (metousía), Wiedererinnerung (anámnēsis) und die Freundschaft (philía)
  27. Urprinzip und Chaos – das überseiende Eine und die nicht-seiende Materie
  28. Aristoteles: Dynamisierung des Seins – die Materie als »Stoffursache«
  29. Info-Box

    von δύναμις (dýnamis): Kraft, Mächtigkeit, Möglichkeit. Die ousía (Sein, Wesen) besitzt neben ihrer äußeren Ursache (aítian), der »Formursache« (lat.: causa formalis) als eídos (Idee, Art, Begriff) oder morphḗ (Gestalt, Form), auch eine innere, die Aristoteles als »Stoffursache« (causa materialis) identifiziert. Diese Ursachen seien allerdings nur theoretisch zu unterscheiden, denn praktisch gehören eídos bzw. morphḗ und die hýlē (Stoff) doch stets untrennbar zusammen. (s. Physik 193b-194b und Metaphysik VII 3, 1028b33-1029a16). Vgl. ferner den „unteilbaren Begriff“ (átomon eídos), VII 8, 1034a7. Mit Aristoteles verschiebt sich der Focus der Betrachtung vom strukturellen Aufbau des Seins auf die Veränderungsprozesse (kínēsis kaì metabolḗ) der Natur (phýsis). Das Eine und Gute Platons wird bei Aristoteles die lebendige Wirklichkeit (energeía) der Ideen (eídḗ) bzw. Formen (morphés) und die Materie (hýlē) deren Ermöglichung und Mächtigkeit (dýnamis).

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    altgr.: οὐσία (ousía), auch: „Wesen“, oder präzis: „Seiendheit“

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    altgr.: ὕλη (hýlē). Das Forschungsinteresse Aristoteles’ richtet sich nicht mehr, wie Platons, auf die Materie als Hypostase, sondern ausschließlich auf ihre sinnliche Gestalt als Material oder Stoff eines Seins (ousía). Die hýlē ist entsprechend eine notwendige Voraussetzung (aitía) für alle Formen (morphés) oder Arten (eídḗ) sinnlicher Wesen (aithētá ónta).

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    altgr.: tò ex hoũ, hýlē (lat.: causa materialis). Zu berücksichtigen sind zudem die Wirklichkeit (enérgeia) als Wirkungsursache (causa efficiens) und die auf ein Zel gerichtete Strebekraft (entelécheia) als Zweckursache (causa finalis). Alle drei gemeinsam bilden die Formursache (tò tí ēin einai, eídos, lat.: causa formalis) der ousía, womit Aristoteles eine wissenschaftliche Formenlehre (Morphologie) der natürlichen Wesen (physikès ousíai) begründet. Was bei Platon der »Dämon Eros für beseelte Wesen (Lebewesen)«, gilt nun formal als »Entelechie für alle natürlichen Wesen«, als Streben (órexis) aller Seiendheiten (ousíai) natürlichen Ursprungs. Zugleich bedeutet die Zweckursache hinsichtlich der Stoffursache aber auch einen Verfall (stérēsis) von Form oder Art sowie eine Veränderung von Qualität oder Quantität des Materials einer Seiendheit. (s. Aristoteles’ Vierursachenlehre) Die schon bei Platon angelegte Dualität von Form und Stoff wird erweitert um die Zeit-Polarität von Anfang und Ziel.

  30. Goethes Begriff der »Imagination« – das Ingenium, zugleich geistigen als auch leiblichen Auges sehen zu können
  31. Info-Box

    Bei Goethe zeigt sich die Ideenlehre Platons schon insbesondere auf das menschliche Handeln ausgeweitet. Er ist überzeugt, „daß die Natur nach Ideen verfahre, ingleichen daß der Mensch in allem was er beginnt eine Idee verfolge.“ (aus: Einzelnes zu Noten bestimmt [Nachlass 1831], LA I, 10, 277)

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    auch: anschauende Vorstellungsart. Das Wissen „fordert ohne es zu bemerken“ genau solch ein „Anschauen“ und „geht dahin über, und so sehr sich auch die Wissenden vor der Imagination kreuzigen und segnen[,] so müssen sie doch ehe sie sichs versehen die produktive Einbildungskraft zu Hülfe nehmen.“ (aus dem Fragment Versuche zur Botanik, LA, I, 10, 129 ff.) Es geht um eine Vorstellungsart, die von einer Sache nichts anderes will, als dass sie ihr Wesen (ousía) offenbare, wobei sich der Mensch mit seinem Bewusstsein möglichst ganz in ihren Dienst stellt, um sich in seinem Denkvermögen von der Sache selbst zu ihrem Begriff, ihrer Idee leiten zu lassen. (vgl. a. Edmund Husserls Epoché oder Martin Bubers Innewerden.)

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    die Begabung oder Erkenntnisweise, die aus dem Spannungsverhältnis zwischen Idee und Phänomen „das in der Erscheinung Wirkende und das die Erscheinung Ermöglichende und Gestaltende sich selbst aussprechen“ lässt. (vgl. Harlan, V.: Das Bild der Pflanze in Wissenschaft und Kunst, Mayer, Stuttgart 2002, 41f.) Goethe argumentiert mit Kant: Denn nur auf diese Weise können der natürliche und der sich in der »anschauenden Urteilskraft« vollziehende Gestaltungsprozess sich als identisch erweisen. (s. Harlan, S. 46) – Vgl. die anagogische Methode der Dialiktik bei Proklos oder die eidetische Reduktion der Phänomenologie bei Husserl.

  32. Martin Buber: die Wahrheit des Wortes – Derivat der Treue (ʼémun)
  33. Info-Box

    hebr.: ʼamitot, oder modern: ʼemet. – Die Wahrheit des Wortes erscheint „in ihren höchsten Formen“ als „unzerlegbare Einheit […] ohne mitgegebene Diversität der Aspekte“, während ansonsten an ihr drei Verhältnisse unterscheidbar sind: a) das „zu der einst vernommenen und nun ausgesprochenen Wirklichkeit“, b) das zu dem von dem Sprecher gemeinten, angesprochenen Anderen und c) das zu der faktischen Existenz des Sprechers selbst (Buber, Das Wort, das gesprochen wird, 1960). Vgl. Thema 21, unten auf dieser Webseite unter Diskurs-Thematik ab 2016.

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    nämlich der Treue von und zu dem Wort, als „die Treue des Menschen oder die Treue Gottes“. (s. Martin Bubers Vortrag: Das Wort, das gesprochen wird, 1960. – Ein Link zu einer Abschrift dieser Rede findet sich ganz unten auf dieser Webseite unter Thema 21 der Diskurs-Thematik ab 2016.)

  34. Die Genese des Weltenalls – Platons Lehre von den fünf Mega-Gattungen (mégista génē) und der Mischung von Begrenzt- und Unbegrenztheit
  35. Info-Box

    wörtlich: umfassendste (größte) Gattungen. Platon stellt im Dialog Sophistes (254b - 259b) der umfassendsten Gattung »Seiendes« „probeweise“ die Gattungen »Bewegung« (kínēsis) und »Ruhe« (stásis) zur Seite, die zwar teilweise in Gemeinschaft (koinōnía) mit ihr stehen, aber doch auch anders sind, weswegen er sogleich den Dreien ein zweites Paar dazu gesellt, nämlich das »Verschiedene« (tháteron) und die »Identität« (tautón), wobei aus neuplatonischer Sicht das Verschiedene zugleich die grenzenlose Unbestimmbarkeit und die Identität die bestimmbare Grenze jedes Seienden repräsentiert (vgl. Mischung). Und die beiden Gattungen »Ruhe« und »Bewegung« werden neuplatonisch als die elementaren Momente dialektischen Denkens aufgefasst. – Aristoteles bedient sich der mégista génē als Vorlage für seine Kategorienlehre, die allerdings nicht die »Ideenhierarchie«, sondern lediglich einen richtigen »Umgang mit Seiendem« thematisiert. Denn seine Kategorisierung von Seienden dient einer Überprüfbarkeit derer Ausdrucksweisen bezüglich aussagenlogischer Korrektheit, nicht aber der platonisch intendierten dihairetischen Strukturierung des Weltenalls.

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    altgr.: μικτόν (miktón). Jedes Seiende ist ein Konglomerat von Bestimmbarkeit durch Begrenzung (péras) und unbestimmbarer Grenzenlosigkeit (apeírōn). Vgl. Philebos (23c – 31a). In allem, auch jeder noch so kleinen Entität, ist diese Dyas schon zugegen. Das Hervorgehen (próhodos) des Seiendem aus dem überseienden Einen bewirkt die Grenze zu ihm (péras als göttliches Maß) und vererbt zugleich seine Grenzenlosigkeit (apeírōn) als unermeßliche Fülle (plḗrōma). Das »Seiende« zeigt sich demnach gleichermaßen als »Idee des Guten«, als »Wahrheit« und »das Schöne«. Vgl. Platons Sonnen-, Linien- und Höhlengleichnis (Politeia 504 ff.).

  36. Fazit: Das Sein zwischen überseiendem Einen und nicht-seiender Materie als ein Kosmos permanent emanativer Offenbarung und reduktiven Erkennens
  37. Info-Box

    Der Latinismus Emanation (Ausströmen, Ausstrahlung) meint eigentlich das griechische πρόοδος (próhodos), s. Thema 17, also den fortschreitenden Hervorgang allen Seins aus dem überseienden Prinzip des Einen.

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    altgr.: ἀναγωγή (anagōgḗ), also Rückführung i. S. v. Hinaufführung, Aufstieg (s. Diskursthematik ab 2020: Dialektisches Denken …, Thema 27); vgl. a. ἐπιστροφή (epistrophḗ, s. o. Thema 17): Hinwendung, Rückkehr

  38. Ausblick: Aufbruch in ›das Weltliche‹das postplatonische Konzept des ›anderen Nächsten‹ (plēsíos állos)
  39. Info-Box

    aus der Abgeschiedenheit meditativer Selbsterkenntnis

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    Die henadische Verbundenheit der Einzelseele mit dem überseienden Einen zeigte sich als zutiefst inniges Liebesverhältnis. Dies in seinem ganzen Ausmaß zu erkennen wurde allerdings erst durch Flucht (diaphygḗ) oder Abkehr (apostrophḗ) des Denkens vom Sinnenfälligen (aisthētós) möglich. Ein erneuter Umschwung (periagōgḗ) ist nun vonnöten, um sich der Außenwelt (kósmos aisthētós) wieder zuzuwenden: Einer Welt der Tat (prágma), einer Welt, die noch nicht fertig ist, der noch etwas fehlt, die noch unvollkommen ist.

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    hinsichtlich einer Verwirklichung der Idee der Nächstenliebe, in der das Prinzip des Einen, das Gute, sich vollendet, zu seiner »Erlösung« gelangt. Es geht um nichts geringeres, als um den Weg aus einer tyrannisch autokratischen zu einer gemeinsam friedlichen Weltordnung.

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    Die sinnliche Welt zeigt sich i. Ggs. zur geistigen nicht mehr als der ureigene, innere, beständige Kosmos, sondern als „Nächster“, als ein anderer, dessen vollständige Genese nur erst eine zukünftige sein kann. Es findet eine auf den ersten Blick paradox erscheinende Umkehrung (metabolḗ) des Zeitverhältnisses statt: Die Offenbarung geht nunmehr der Schöpfung voran. – Wir betreten die wundersame Welt des Lebens, die noch ihres Begriffes harrt.

Diskurs-Thematik ab 2020

Dialektisches Denken – seine Struktur, Dynamik und Methode (nach Proklos)

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Der Ausdruck „dialektisch“ (dialektikós) – zuerst bei Platon (Menon, 75d) belegt – entstammt einer Erweiterung durch das Zugehörigkeitssuffix -ikós (von der Art, wie) des Verbalsubstantivs diálektos, das sich wiederum von dem Verb dialégesthai herleitet: „mit jemandem reden“, „ein Gespräch führen“. „Dialektisch“ bedeutet also „dialogartig“, entsprechend der Terminus „Dialektik“ (dialektikḗ), zuerst belegt in Politeia 534e, die „Technik, ein Gespräch zu führen“. – Nach der Systematisierung der platonischen Lehre durch Proklos (412-485) bezeichnet Dialektik sowohl die „Wissenschaft des Grundes“ wie auch den „Grund von Wissenschaft“, denn sie führt die Sache (das Was) des Denkens und das Denken (das Wie) der Sache auf ihren gemeinsamen Grund (das Warum) zurück und ermöglicht damit das Erkennen von Wahrheit (alḗtheia), d. h. der „Stimmigkeit“ von Denken und Sein der Sache (prágma). Dazu wird das Gedachte (nooúmenon) des Denkaktes (nóēsis) differenziert nach dem überhaupt Denkbaren (noētón) und dem eigentlich intellektual Intendiertem (noërón) betrachtet. – Erstes Prinzip der Dialektik ist dabei stets „das Eine“ (to hen), da es für das allgemeinste Prädikat alles Seienden verantwortlich ist. – Die Dialektik ist durch den Bezug auf das Eine neben Trias und Zyklus ein „Strukturmoment“ der theoretischen Methode und diese als „dialektische“ der Vollzug der Betrachtung (theōría) der Sache selbst.

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Im 5. Jh. n. Chr. schuf Proklos (412-485) ein ontologisches Identitätssystem. Bewegendes Element ist „das Eine“ als Prinzip relational-dynamischer Identität, das sich zwar von sich aus als „Nicht-zu-Denkendes“ zeigt, doch gleichsam auch als das „Prinzip von Sein“ erscheint. (henophantische Ontologie bzw. ontologische Henophanie) Danach werden Kausalität und die immanente Kontinuität des Systems von Seiendem – in mythischer Tradierung: »das demiurgische Denken göttlichen Geistes« – erst durch das absolute Überragen des Ursprungs ermöglicht. (authentische Transzendenz) Dabei erweist sich die „Vermittlung“ (méson), das Kerngeschäft des Seelischen, als Vollendung von Kausalität, da sie alles Sein (s. Mischung) in sein „reines Wesen“, d. h. seine „Fülle“ oder „Ursprünglichkeit“, zurückführt (vgl. Emergenz). Entsprechend ist die Methode in der proklischen Philosophie „der Weg des Denkens, dessen Anfang als durchtragender Grund die Selbsterkenntnis (ἡ ἑαυτῶν γνῶσις) ist“, womit sich das Denken seiner selbst und damit seines Weges bewusst wird. Hinsichtlich ihrer ethischer Relevanz wird die Selbsterkenntnis sinnvoll wirksam in dem Erkennen des universalen Grundes von Seiendem als Ziel des Weges. Es „zeigt sich der Grund der Möglichkeit, dass überhaupt Seiendes seinem Wesen gemäß, d. i. wahr, gedacht zu werden vermag.“ (Beierwaltes, W.: Proklos. Grundzüge seiner Metaphysik, Frankfurt a. M., ₂1979, S. 1-18)

Einzelthemen

  1. Die Idee (eídos, idéa) – das zur Gestalt vollendete Denkbare und Seiende
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    altgr.: εἶδος [neutrum], ἰδέα [femininum] – ein Gesehenes, von eídon (sehen): ein „Etwas“, das „gesehen“ wird, i. S. eines Vor- oder Urbildes (parádeigma) des sinnlich rezipierten Bildes von diesem „Etwas“. – Im Kontext der Dihairesis (s. u.) bezeicbnet eídos auch die Art oder Spezies eines Seienden.

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    altgr.: μορφή (morphḗ) bzw. σχήμα (skhḗma)

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    altgr.: νοητόν (noētón)

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    altgr.: τὸ ὄν (to ón) – eine dinglich-reale Entität

  3. Der Geist (noūs) – die Gemeinschaft als auch die Fülle der Ideen
  4. Info-Box

    altgr.: νοῦς – das selbsthypostatisierende (authypóstatos) Geeintsein (hēnōménon) der Ideen, incl. der Idee seiner (des Geistes) selbst: Immateriell zeitlose Dimension (tópos) des Intelligiblen (noētón) als (Zu-)Denkendes und Denkakt zugleich (Plotin, Enn. V 9, 5, 7; 1, 13) – Der Geist ist demnach das Sein und die Idee des erwirkenden und ordnenden Prinzips allen Seins selbst, all dessen, was „entsteht, vergeht oder ist“. (Plat. Phd. 97b-c) Dabei ist der Akt des Denkens (nóēsis) der Grund dafür, dass sich im Geist die Gedanken (noētá) „immer schon in Unterschiedenheit entfaltet“ haben, dennoch aber „beharrend ineinander gefaltet“ bleiben. Entsprechend befindet sich alles dort in Gemeinschaft (koinōnía) miteinander: „Alles [hat] an Allem teil.“ (Proklos, In Platonis Parmenidem 754, 26-28)

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    altgr.: κοινωνία (koinōnía), wörtlich: das „Mit-Sein“

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    altgr.:πλήρωμα (plḗrōma)

  5. TRIAS – die elementare Struktur von Seiendem und Gedachtem
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    altgr.: σχήμα (skhḗma). Die triadische Gestalt (skhḗma triadikón) ist „konstitutives Element der Denkbewegung und jedwedes Seienden“. (Beierwaltes, Proklos …, S. 24)

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    Dingliches, Reales: ein „Etwas“, das dem Denken (νοεῖν [noeín]) stets vorausgeht

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    altgr.: νοούμενον (nooúmenon), auch einschließlich des nur Denkbaren (noētón)

  7. Selbiges und Anderesbegrenzt und unbegrenzt, Seiendes und Nichts
  8. Info-Box

    altgr.: αὐτός (autós)

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    altgr.: ἕτερος (héteros)

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    altgr.: πέρας (péras); i. S. v. „Bestimmtheit“

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    altgr.: ἀπείρων (apeírōn); i. S. v. „Unbestimmtheit“

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    altgr.: ὄν (ón), hier i. S. v. einem Endlichen und somit Bestimmbaren

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    altgr.: οὐδέν (oudén): absolut Unendliches und damit Unbestimmbares

  9. Das Sein (ousía)Einheit der Dyas »Andersheit und Selbigkeit«
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    altgr.: οὐσία (ousía) – Seiendheit, auch: „Wesen“ „Wesenheit“ oder „Sosein“, im Ggs. zur hypárxis, einem bloßen Existieren. Das Sein zeigt sich als Mischung (miktón) von Begrenztheit und Unbegrenztheit und als solches als Selbiges und Anderes zugleich.

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    altgr.: ἕνωσις (hénōsis)

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    δυάς, altgr. für „Zweiheit“

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    altgr.: ἑτερότης (heterótēs)

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    altgr.: ταὐτότης (tautótēs)

  11. Das Denken: diskursiv fortschreitend und dialektisch umkreisend
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    altgr.: νοεῖν (noéin) bzw. νόησις (nóēsis) als in sich seiender Hervorgang (próhodos) des Geistes (noūs). – In der Anähnlichung (homoíōsis) und Nachahmung (mímēsis) an den Geist hat die Seele teil am Denken. Zu Erkenntnissen gelangt sie allerdings nur, indem sie sich in das Geistige hinauf selbst übersteigt.

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    altgr.: μεταβατικῶς (metabasikṓs), das der Seele zueigene Denken zwecks Erkenntnis eines Anderen (in bildhafter Darstellung eine linear strahlenförmige Bewegung)

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    das Denken als Erleben (kreisförmig, sphärisch) oder als Erkennen von sich selbst (reduktiv spiralförmig)

  13. Ekstase und das überseiende Eine – das Schöne und das Gute
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    altgr.: ἔκστασις (ékstasis)

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    altgr.: ὑπερόντως (hyperóntōs), wörtlich: „über-dinglich“

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    altgr.: τὸ ἕν (tò hén)

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    altgr.: καλόν (kalón)

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    altgr.: αγαθών (agathṓn)

  15. Einfachheit des überseienden Einen und das analoge Begehren (érōs)
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    altgr.: ἁπλότης (haplótēs), wörtlich: „Nicht-Faltigkeit“, somit auch i. S. v. „nicht auffaltbar“ und wie hier: „nach innen gefaltet“ („Einfaltigkeit“). – Ein Analogon ist die „Einfalt der Ununterschiedenheit“ im energetischen Zustand der Ekstase.

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    altgr.: ἔρως – der Dreh- und Angelpunkt jeglicher Gemeinschaft (koinōnía) und Teilhabe (méthexis); vgl. a. „Teilnahme“ (metousía)

  17. Das Übermaß an Nicht-Mächtigkeit: Quelle und Prinzip der Mächtigkeit
  18. Info-Box

    altgr.: ὑπερβολή (hyperbolḗ), wörtlich: „Über-Werfung“

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    altgr.: αδύνατον (adýnaton) Die Ununterschdenheit des überseienden Einen, die reine Wirklichkeit (enérgeia), waltet über alle Mächtigkeit (dýnamis) von Seiendem, da Mächtigkeit eben nur relational, d. h. als Sein existieren kann.

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    altgr.: δύναμις (dýnamis, i. S. v. Möglichkeit und Kraft) Sie macht das Seiende anders als auch selbig und hat ihre Quelle in der Wirklichkeit (enérgeia) des Einen. (s. „Emanation“)

  19. Das Wort (lógos) – Idee und Ursache von jeglichem Sein
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    altgr.: λόγος (lat: verbum) als die Mächtigkeit (dýnamis) und das Vermittelnde (méson) zwischen dem überseienden Einen und dem Sein bzw. allg. zwischen Selbigkeit und Andersheit

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    altgr.: αἴτιον (aítion)

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    … von allem Wesentlichen, d. h. von allem, das substanziell seiend ist

  21. Die Struktur des Denkens: »VerharrenHervorgangRückkehr«
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    altgr.: μονή (monḗ) – durch das hypostatische Sein des Geistes

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    altgr.: πρόοδος (próhodos) durch die Notwendigkeit von Unterscheidung (diákrisis) innerhalb der geistigen Ideen-Fülle. Das Intelligible wird einerseits durch das Denken „verdinglicht“ (hypostasiert [hyphístēsi]), andererseits aber auch zugleich in seine „Mannigfaltigkeit“ (plḗrōma) entfaltet.

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    altgr.: ἐπιστροφή (epistrophḗ) des Gedachten in das hypo-stasierte Sein des Geistes durch die Reflexivität des Denkens als eine ständig intendierte Identität (hēnōménon) mit sich selbst

  23. Das Prinzip der Einheit: der triadische Kreis »AnfangMitteEnde«
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    altgr.: ἀρχή (archḗ)

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    altgr.: ἕνωσις (hénōsis)

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    altgr.: ἀρχή (archḗ); bzw. „Erstes“, altgr.: πρῶτον (prōton)

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    altgr.: μέσον (méson), auch: „Vermittlung“

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    altgr.: ἔσχατον (éskhaton, auch: „Letztes“); bzw. „Ziel“, altgr.: τέλος (télos)

  25. Das Sein als Denkbarkeit (Intelligibilität) und das Denkende (Intellektuale)
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    altgr.: οὐσία (ousía): ein „sinnbestimmtes Etwas“ oder generell eine „Sinnbestimmtheit“

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    altgr.: νοητόν (noētón)

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    altgr.: νοερόν (noërón): die „Sinn-Gerichtetheit“ (Intentionalität)

  27. Die Trias »Sein, Leben und Geist«: Verursachung – Durchdringung – Teilhabe
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    »Sein – Leben – Geist« bildet die maßgeblich hierarchische Trias der Henade (ideelle Klassifizierung eines Seienden) »Seele«.

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    οὐσία (ousía) – ein „sinnbestimmbares Etwas“ und somit ein „Denkbares“: νοητόν (noētón)

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    altgr.: ζωή (zōḗ): die dynamische Einheit (hēnōménon) von Denkbarem (noētón) und Zu-Denkendem (noërón) bzw. von Sein und Geist

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    altgr.: νοῦς (noūs): das (zu) Denkende (noërón) selbst i. S. der Erkenntnis (gnṓsis) dessen, was das Denken (noéin) denkt, also die Selbsterkenntnis (hē heautṓn gnṓsis) an sich

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    altgr.: αἰτία (aitía)

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    altgr.: δίιξις (díixis)

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    altgr.: μέθεξις (méthexis), wörtlich: „Mit-Haben“

  29. Christlicher Exkurs: die menschliche Person – Bild (imago) des Ewigen
  30. Info-Box

    bei Augustinus von Hippo (s. a. Gaius Marius Victorinus) die zeitliche Trias »Sein – Leben – Denken« (esse-vivere-intelligere) als „vestigium Trinitatis“ (Fußspur, Merkmal der [ewigen] Trinität)

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    bei Augustinus von Hippo ein personales Sein von Ewigkeit: die ewige Trinität – ein „idealistischer Standpunkt“: Die Trias »esse – vivere – intelligere« wird zum Prinzip allen Seins, nicht nur des geistigen wie in der Philosophie (hier bes. der proklischen). – Eine wesenhaft sachliche Auslegung dieser Trias als personale Trinität gelingt erst Meister Eckhart, nämlich als die Trias des Wortes (verbum / lógos), d. h. als trinitarisch personale »Mächtigkeit« (dýnamis) des überseienden Einen.

  31. Das Grundprinzip des Seins: »VerharrenHervorgangRückkehr«
  32. Info-Box

    Nach Proklos steht das Prinzip des Seins auf einer logischen Grundlage, die durchaus mit der Struktur des Denkens in Einklang steht: Analog zum Wort, das das im Denken entfaltete Bild der Sache „eingefaltet in sich selbst“ enthält, stellt sich die Sache selbst in ihrer Ähnlichkeit zum Wort ebenfalls „eingefaltet in sich selbst“ dar.

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    altgr.: μονή (monḗ) – Ursache und Verursachtes zugleich: ein Bewirktes innerhalb der Kette aller Ursachen und zugleich ein Bewirkendes des Zusammenhalts von Kausalität durch sein Mitertragen, sprich: Sympathie (sympátheia)

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    altgr.: πρόοδος (próhodos) – das Auslösen (Aktuieren) wesenhafter Ähnlichkeit zur Ursache: Selbst- oder Fremdmodifikation bzw. seinstiftendes Bewirken von Anderem. Zweck des Hervorgangs ist das Analog-Sein mit dem Ebenmaß (harmonía) der Kausalkette selbst.

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    altgr.: ἐπιστροφή (epistrophḗ) – erneute Modifikation des Hervorgangs als Rückgang (Rekursion) in die Kausalbindung: Einung in das analoge Band (desmós) der Verursachung als ein „freundliches Miteinander“ (philía)

  33. Die Einheit der Welt als Analogon zum zirkulären Vollzug des Geistes
  34. Info-Box

    altgr.: ἕνωσις (hénōsis), s. o.

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    von altgr.: ἀναλογία (analogía)

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    als Geeintsein (hēnōménon), s. o.

  35. Der wahrhaft seiende KreisBild des ort- und zeitlosen Geistes
  36. Info-Box

    altgr.: ὄντως ὄντα κύκλον (óntōs ónta kýklon), d. h. seine mathematische Definition (horismós)

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    altgr.: εἰκών (eikṓn) – zugleich auch Gestalt (skhḗma bzw. morphḗ)

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    altgr.: νοῦς (noūs)

  37. Die SeeleNachahmung des Geistes, Hypostase der Vermittlung
  38. Info-Box

    altgr.: ψυχή (psychḗ) – das aus den Gegensätzen von Sein (Unbewegtheit, Ewigkeit) und Werden (Bewegtheit, Zeit) sich selbst in das eigene Wesen Vermittelnde: eine Henade (hypostatische Einheit, die Ideen-Klasse eines Seienden, s. o.) des Geistes, die sich mannigfach als Denken, Fühlen und Wollen entfaltet. Sie unterscheidet sich vom Geist durch die Aufhebung von Hierarchie, durch ihre Zeitlichkeit, Bewegung und Diskursivität.

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    altgr.: μίμησις (mímēsis)

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    altgr.: ὑπόστασις (hypóstasis)

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    altgr.: μέσον (méson) bzw. μεσότης (mesótēs) – als Mitte zwischen Sein und Geist, Selbiges und Anderes vermittelnd

  39. Zeit als Seinsverfassung der Seele und das weltliche In-der-Zeit-Sein
  40. Info-Box

    altgr.: χρόνος (chrónos) bzw. καιρός (kairós)

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    Zeit ist „hervorgehender Geist“ (noūs proiṓn) und somit strukturell ein Vermittelndes zwischen Geist und Seele. – Erst durch die Zeit wird eine Verhaltens- bzw. Richtungsänderung, d. h. ein „Umschlag“ (metabolḗ) im Vollzug der menschlichen Existenz ermöglicht.

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    … nämlich durch die sog. „Selbstzeitigung“ der Seele

  41. Die Zeitlichkeit der Seele: Initialmoment für die Überwindung von Zeit
  42. Info-Box

    Die Zeit (chrónos) befindet sich zwar „jenseits der Seele“, diese jedoch im Verhältnis der Teilhabe (méthexis) zu jener wie auch zu der Ewigkeit (aiṓn) des Geistes als der sie ermöglichende Grund.

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    … durch das stets fortschreitende seeliche Erkennen, denn aufgrund der „Armut an Zeit“ weckt Eros „zur Suche nach der vollkommenen Erkenntnis“. (Proklos, In Platonis Alcibiadem I 236, 4-6) und schließlich ist in der Evidenz von Wahrheit, im zeitlosen Nu ihres Aufleuchtens (exaíphnēs), die Zeit eliminiert. (Beierwaltes, Proklos …, S. 199)

  43. Geschichtliche Periodizität und das Erscheinen der Idee in der Zeit
  44. Info-Box

    Zeit als Verlauf einer im Kreis fortschreienden Spiralbewegung (hélix)

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    altgr.: καιρός (kairós) – In dem einmaligen und unwiederholbaren Ereignis eines geschichtlichen Augenblicks hebt sich Zeit auf und bewahrt sich zugleich. Der Kairos entspringt der persönlich menschlichen Freiheit und ermöglicht als ein Neues (forma saeculi) sowohl einen (Neu-)Anfang als auch ein Ende (éskhaton) geschichtlicher Phasen.

  45. Die DialektikPrädisposition für ein Leben nach dem Geiste
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    die Befähigung, das Sein der Idee und ihre Wahrheit zu schauen (ekeínēn), verbunden mit dem Ziel „einfachsten seelischen Denkens“ (… πρὸς τὴν ἁπλουστάτην νόησιν τῆς Ψυχῆς)

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    Dispositiv für das Schauen (ekeínēn) von Ideen ist ein Einüben der Überwindung von Vorstellung, Meinung und diskursivem Denken. Gegenstand des Denkens ist das „Sein der Ideen“.

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    In einem auf den Geist ausgerichtetem Leben findet die Seele, gleichsam wie Homers Odysseus, nach der Anstrengung dialektischen Durchdringens vielfältigen Irrsals ihren Ruheort: Sie gelangt in „die Ruhe des nicht mehr Auflösbaren“. – Aus der Vielfalt in die Einheit übergegangen hat das Denken seine Sicht auf das überseiende Eine hin versammelt. (synagōgḗ) – Die „Übung in den Ideen“ ist somit zugleich Einweihungsakt (proteíleia) in die Schau des Grundes der Ideen.

  47. Dialektik II: Grund der Wissenschaft und Wissenschaft des Grundes
  48. Info-Box

    Die Dialektik als Methode des Denkens und Erkennens begründet den Anfang jeglichen wissenschaftlichen Denkens …

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    … durch ihren methodischen Vollzug als Auflösen (análysis), Scheiden (diaíresis), Bestimmen (horismós) und Erweisen (apódeixis)

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    Die Dialektik ist Wissenschaft vom Grund (aítion) und Ursprung (archḗ) jeglicher Wahrheit.

  49. Methodisches: ScheidungBestimmungAuflösungErweis
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    Als „Strukturmoment“ der »einen« theoretischen Methode (s. o.) befasst Dialektik „das dihairetische, analytische [/anagogische], synthetische, hypothetische, analogische und apophatische [negierende] Moment in sich“ (Beierwaltes, Proklos …, S. 17), wobei sich der Vollzug der Theorie als vom „ursprunghaften Grund der Systematik vom Seienden“ geführt darstellt. (ebd., S. 18) Die Systematik des Seienden mit ihren Grundmomenten Trias, Kreis und Dialektik gründet somit in dem analytisch-anagogischen Moment des »einen« Sich-selbst-Denkens (s. „Anagogische Dialektik“), dem zuvorderst sich nur das Eine in sich und das triadische Ur-Moment „Mischung, Begrenztheit und Unbegrenztheit“ befinden. Entfaltet werden die o. g. Momente des Betrachtens als „Gang des Gedankens von Trias zu Kreis und Dialektik, wobei eines das andere durchdringt.“ Die Betrachtung (theōría) vollzieht sich gemäß dieser Methode, „damit die Sache notwendig und vollständig so erfasst werde, wie sie in Wahrheit gemäß ihrem Sein ist.“ (ebd.)

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    altgr.: διαίρεσις (diaíresis), lat.: divisio. Die Dihairesis scheidet die Vielfalt des Seienden in Gattung (génos) und Art (eídos) und teilt ein wirklich oder scheinbar Ganzes in seine der Gattung streng einander untergeordneten Teile (átmēta eídē), die als Anfänge (archaí) dem bestimmenden Denken bereitgestellt werden.

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    altgr.: ὅρισμός (horismós), lat.: definitio. Die Definition führt die Anfänge (archaí) in einer Synthese (sýnthesis) wieder zu einer Einheit des Seienden zusammen. (vgl. a. Platons Verwendung des Begriffs sýnopsis)

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    altgr.: ἀνάλυσις (análysis), lat.: dissolutio. Die Analyse ist die „schönste“ Methode, denn sie führt das Gesuchte auf ein bereits bekanntes Prinzip zurück und erkennt dieses als dessen Grund. Sie zerlegt jedes Seiende in seine ursprünglichen Elemente und gelangt damit zum Ursprung jedes Seienden selbst, zur Idee, wodurch auch das Gesuchte (das Spätere) gemeinsam mit dem Ersten (das bereits Bekannte) als im Sein der Idee ineins gefügt erscheint.

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    altgr.: ἁπόδειξις (apódeixis), lat.: demonstratio. Die Idee erweist sich schließlich als der Grund des Bestimmbaren in und durch eine Zusammenschau (synagōgḗ) der analytisch-dihairetischen Unterscheidungen.

  51. Mathematik und das ernste Spiel der hypothetischen Dialektik
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    Die Mathematik hat als dianoetisches Verfahren nicht die Ideen zu ihrem Gegenstand, sondern erschafft lediglich dem Sein entlehnte, bildhafte Begriffe, die sie in rein hypothetische Sätze bindet. Das hypothetische Setzen der mathematischen Definition darf daher nicht missverstanden werden als Setzen der Sache selbst. Gleichwohl ist sie Wissenschaft aufgrund ihres dialektischen Vemögens wahr von falsch zu unterscheiden und zugleich durch das Generieren hypothetisch-abstrakter Sätze die Propädeutik von Wissenschaft und Philosophie überhaupt. Allerdings „träume“ sie nur über das Seiende (Platon, Krat. 533b).

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    altgr.: πραγματειώδη παιδιὰν παίζειν (Plat. Parm. 137b). Das mathematische Denken geht von Grundsetzungen aus, ohne für deren Richtigkeit einen Grund angeben zu müssen. Im Unterschied dazu sind die „Grundsetzungen“ (ἐξ ὑπυθέσεως) der übrigen Wissenschaften als auch der Philosophie im Sein gründende Grundangelegenheiten, die zwar in die Form einer Hypothese „aufgehoben“ werden, dennoch aber in ihrem Sein bewahrt bleiben.

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    Das Erste, das als Grund der Reflexion und Ansatzpunkt der Abstraktion zugrunde gelegt wird, ist das seiende Eine (ἕν ὄν) der Grundangelegenheit, das sich in einem hypothetisch verfahrenden Abstraktionsprozess in das überseiende Eine zu läutern hat: Da das seiende Eine selbst ohne Grundsetzung ist, kann das dialektische Denken nur von einer hypothetischen Setzung ausgehend zum Grundsetzungslosen gelangen. „Gerade in diesem Rückgang in den grundsetzungslosen Grund jedweden Grundes spielt die hypothetische Dialektik ihr ‚ernstes Spiel‘.“ (Beierwaltes, Proklos …, S. 270) — Alle Hypothesen sind explizit zu machen (Platon, Resp. 511b) und analytisch zu hinterfragen, um sie im reduktiven Aufstieg des Begründens „aufheben“ (τὰς ὑποθέσεις ἀναιροῦσα) zu können. (ebd. 533c)

  53. Anagogische Dialektik: Abstraktion als Abkehr, Inwendigkeit und Überstieg
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    Die anagogische Dialektik (von altgr.: ἀναγωγή [anagōgḗ – Aufstieg i. S. v. Rückführung / Reduktion]) ist die Methode des Dankens und Erkennens von dem Intelligiblen selber. Sie vollzieht einen Umschwung (periagōgḗ) des Denkens in der Abkehr vom Rezipieren des vielfältig entfalteten Seienden, hin zu einem analytischen Erkennen der Bewegung des lebendigen Denkens und seines Grundes, und gründet im Umstand des Dialogs: Das Wort (lógos) des Anderen wird zum Anlass in sich selbst auf das Sein dieses Wortes zurückzugehen.

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    Grundlegend unterschieden von ihrem neuzeitlichen Begriff zielt die Abstraktion als ἀφαίρεσις (aphaíresis, lat.: ablatio) nicht auf die Gewinnung formalisierter Begriffe, sondern auf die Fülle des Seins als noūs bzw. auf die Fülle des gründenden Überseins als das Eine selbst. Die Abstraktion nimmt aus dem Denken alles, was dem Grunde unähnlich ist, heraus, „um es so auf die Einung mit dem Einen vorzubereiten“. Ihre Momente „Flucht, Rückgang, Reinigung, Ähnlich- und Einfachwerden, Sammlung, Erleuchtung und Göttlichwerden“ erweisen sich als „Wesen der aufsteigenden Dialektik“. (Beierwaltes, Proklos …, S. 280 f.)

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    Flucht (diaphygḗ) oder Abkehr (apostrophḗ) des Denkens vom Sinnenfälligen (aisthētós) bedeutet seine Befreiung von sinnlicher Ortsgebundenheit (αἰσθητὰ τὰ τόπου δεόμενα), d. h. seiner Materialität, und zugleich die Hin- bzw. Rückkehr (epistrophḗ) in seine Selbstreflexivität, d. h. in das Bewusstwerden seiner selbst. Dieser Umschwung (periagōgḗ) vollzieht sich im Unterschied zum Diskurs (metábasis) als »ein« Akt, als eine nur in seine Momente unterschiedene Einheit (hénōsis).

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    In der Nach-innen-Gerichtetheit der Seele (synelíssein, synneúein) setzt sich der dialektische Aufstieg als Läuterung des Denkens (kátharsis) von der Vielfalt an Meinungen und des Glaubens (oíēsis) auf ihre Einfachheit hin und in Anähnlichung an den Geist fort, da das Denken als Hervorgang des immanenten Seins des Geistes sich zugleich auch als Bewusstsein stftender Rückgang in sich selbst erweist. Dieser Rückgang des Denkens der sonst diskursiven Seele führt den dialektischen Aufstieg zu einer „Erweckung und Sammlung der höheren Kräfte des Denkens für den stufenweisen Vollzug der Einung des Denkens mit seinem eigenen Selbst, welches in dem vor und über ihn in-sich-seienden Grund und Ursprung gründet und in die Einheit mit diesem fortzugehen strebt.“ (Beierwaltes, Proklos …, S. 286) Auf diese Weise kommt der Seele von der einenden und sammelnden Mächtigkeit des Geistes die Erleuchtung (éllampsis) zu. Das in sich gewendete Denken wird in der Erkenntnis seiner selbst zum Grund seiner Selbstvergewisserung.

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    In der Ungeschiedenheit des Geistes hat die Seele ihren vorläufigen Ruheort erreicht. Sie erhält nicht mehr Nahrung aus dem Bereich der Meinung, sondern »Nektar« (νέκταρ) aus der Dimension des Geistes als „reines, unteilhaftes und spontanes Begreifen des Wesens von Seiendem in der Idee und derem göttlichen Grunde.“ (Beierwaltes, Proklos …, S. 288) Die Mächtigkeit des Geistes erhält göttlichen Status, da sie rein und frei in sich selbst die Negation jeder Mannigfaltigkeit und die Aufhebung jeglicher Relation in sich selbst ist – Selbstgenügsamkeit (autárkeia) par excellence. Folglich „aktiviert das Denken in sich diese umfassende und einende Mächtigkeit, um die verschiedenen Dimensionen des seienden Einen [des Geistes] übersteigen zu können und die Differenz [von Vielheit und Einheit] in der ununterschiedenen Einheit des überseienden Einen aufzuheben.“ (ebd., S. 296) Dieser energetische Überstieg (ékstasis) geschieht durch Erleuchtung oder „Selbstdurchlichtung“ als Anähnlichung (homoíōsis) an das ursprüngliche Licht und/oder durch wahrhaftes Beten, das auf seiner höchsten Stufe alle Hoffnung übersteigt (hyperhaírein). Beides dient einer permanenten Verankerung des Lebens an das Gute, Schöne und Wahre.

  55. Analogische Dialektik – die Methode der unähnlichen Ähnlichkeit
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    Die analogische Dialektik bezieht sich als Methode des Denkens und Erkennens auf die Ordnung des Sinnlichen (kósmos aisthētós) und betrifft die kausale Verbundenheit und hierarchische Struktur von Seiendem im Sein des Ganzen. Die Analogie entspringt der Relation von Bild und Urbild, der Ähnlichkeit von Welt als Sein eines bestimmten Zeitpunkts mit der ihr zugrundeliegenden Kausalität als Idee des ewigen Geistes (dēmiurgós), da die Welt „aus diesem selbst hervorgegangen ist und trotz dieses Hervorgangs [próhodos] in der Weise gestufter Teilhabe [méthexis] immer noch in ihm ist“ (monḗ). Diese Ähnlichkeit zeigt sich ontologisch „wiederum als Bewegung des Hervorgegangenen in den Ursprung [epistrophḗ]“ und methodisch im Vollzug dieser Rückkehr, sodass „Rückkehr [epistrophḗ] zurecht Ursache der Ähnlichkeit genannt werden kann.“ Auch setzt das Gut-Sein des Ursprungs die Möglichkeit der Rückkehr als eines ihrer sympathiestiftenden Zeichen (sýnthema, sýmbolon), welches das Seiende über sich hinaus in seinen Ursprung zurück verweist und „die Analogie als eine diesem Grundzug des Ursprungs gemäße Methode“ bestimmt. (Beierwaltes, Proklos …, S. 329 f.) Am nächsten kommt diesem Gut-Sein des Ursprungs die Darstellung der Analogie aus Platons Sonnengleichnis in Gestalt der Denkstruktur der Lichtmetaphysik.

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    Wie das Eine in der Negation des Mannifaltigen (s. u.) die ontologische Differenz, so zeigt auch das Gute als Sinngrund der Analogie die nicht nahtlos zu schließende Kluft zwischen endlichem Denken und Ursprung. Das Eine (to hen) bzw. Gute (agathón) erweist sich aus beiderlei Perspektive als absolutes Jenseits (epékeina). Doch gerade diese Unähnlichkeit bewahrt die Analogie vor der „Gefahr einer Nivellierung der Sphäre des Ursprungs auf die Dimension des Entsprungenen hin“. Stattdessen macht Analogie „die Unähnlichkeit als der Ähnlichkeit inneseiend sichtbar“, wobei „jede ihr Wesen ganz in der »anderen«“ bewahrt. „Jedes Seiende ist daher ähnlich und unähnlich zugleich. […] Ähnlichkeit wird so nicht zur Unähnlichkeit schlechthin, sondern impliziert diese als ihre eigene Negation“. (Beierwaltes, Proklos …, S. 332) – Zusammen bilden Analogie und Negation eine sachliche Einheit, die den Ursprung des endlichen Denkens als Identität von Einheit und Gutheit dokumentiert.

  57. Negative Dialektikdas Begreifen und die Negation der Negation
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    Die negative Dialektik als Methode des Denkens und Erkennens bezieht sich auf das Sein insgesamt und hat die Affirmation der Paradoxie vom Wissen des Nicht-Wissens zur Voraussetzung, d. h. sie vollzieht sich an einem Seienden, das bereits als Etwas affiziert wurde: Ein Etwas-Sein wird durch die Aussage bestätigt, dass es ein anderes Etwas nicht ist. Daher ist die Affirmation „Prinzip oder Grund der Möglichkeit von Negation.“ Das nicht-seiende Eine aber wird als Ziel der Negation als Nichts begreifbar. „Nichts ist das Eine jedoch im Gegensatz zum Nichts im Seienden nicht als die reine Wesenslosigkeit“, somdern „gerade der »springende Punkt seiner Ursprünglichkeit«. Das Nichts macht das offensichtlich, was im Seienden vom Einen verborgen bleibt, oder was Seiendes durch die affirmierende Aussage am Einen nur verdecken würde.“ (Beierwaltes, Proklos …, S. 342 u. 348)

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    Seiendes kann somit begriffen werden als alles, was das Eine nicht ist: „Etwas ist alles, was das Eine nicht ist. […] Die Sphäre des Einen und die Dimension des Etwas-Seienden schließen sich also gegenseitig aus“. Doch obgleich das Eine Nichts von Allem ist, so ist es doch nicht schlechthin Nichts, „da es in überseiender Weise ist und da ist.“ Sein Dasein (hypárxis) wird also nicht negiert, sondern durch die Negation von all dem befreit, was es selbst nicht ist, und so als es selbst herausgestellt. Der Mensch muss sich eingestehen, dass der Ursprung weder denk- und erkennbar, noch zureichend sagbar ist, und er erfährt seine eigene Existenz (hypárxis) „als eine nicht-absolute, entsprungene, die in der Einung aufgehoben werden soll.“ (Beierwaltes, Proklos …, S. 348 f., 357) Durch seine überseiende Ursächlichkeit ist das Eine in Allem und zugleich »jenseits« von Allem, überall und nirgens zugleich. Durch seine Sein erwirkende Ursächlichkeit ist es aus sich selbst hervorgehend (próhodos), dennoch aber in sich verharrend (monḗ).

    Info-Box

    In der Negation der Negation spitzt sich die Paradoxie des Inne-Seins und zugleich Über-Seins des Einen zur Aporie (aporía) zu, ein selber paradoxes Mittel zum Zweck (euporía), denn Negation ist Ausweglosigkeit und Ausweg aus der Ausweglosigkeit zugleich. Negation der Negation „ist der einzige und notwendige Weg, die Unbegreifbarkeit des Ursprungs zu »begreifen« und seine Unsagbarkeit als Unsagbarkeit zu »sagen«.“ Sie befreit das Denken von Sein und Nicht-Sein, indem sie die Negation als „Vorbedingung des nicht-denkenden Einswerden mit dem ursprunghaft Über-Seiendem und Über-Denkendem“ durch Setzung der negativen Differenz in die Einfaltigkeit (haplótēs) des Einen aufhebt. Als „Negation des absprechenden Denkens“ ist sie dessen „Aufhebung als eine nicht mehr »aktive« Bewahrung im nicht-denkenden Einen selbst“. (Beierwaltes, Proklos …, S. 360 f., 364) – „Stumm ist (die Seele) geworden und schweigend in einem inneren Schweigen.“ (Proklos, De providentia 31, 11)

  59. Das Eine in uns als Intelligenz, Konzept und Erleuchtung (illustratio)
  60. Info-Box

    Durch die dialektischen Bestimmungen als intelligentia, conceptus und illustratio vermag das Eine in uns die nicht-denkende Blüte unseres Wesens (flos intellectus) zu sein. Sie verbindet das Geistige im Menschen mit dem Göttlichen und ist der ortloser Ort, in dem das Denken in Nicht-Denken umgeschlagén ist, die höchste Mächtigkeit unseres Geistes und „Vorläufigkeit des Einen selbst im überbegrifflich begreifenden Begriff des Einen und in der Grundgelichtetheit des Denkens“. Kraft seines Übermaßes (hyperochḗ) ist das Eine in uns der seiende Übergang vom Denken in Nicht-Denken und als Prinzip (archḗ) des Denkens und Erkennens das »Eingestaltigste« und »Einigste« in uns. „Durch Dialektik und Aufhebung der Dialektik in der Negation der Negation läutert sich der Mensch in seine Vollendung.“ (Beierwaltes, Proklos …, S. 376 f., 381)

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    „Zugleich weiss es (der Geist) beides, das Gedachte (das es selbst ist) und dass es jenes denkt, und dass es von sich als dem Denkenden gedacht wird.“ (Proklos, Elementatio theologica 168; 146, 21-23) Das Selbst des Geistes (das Eine in uns) zeigt sich in diesem Akt der Selbstvergewisserung „als relationale, dynamische Einheit von Denken und Sein [hēnōménon]: Der in sich einige Sinngrund, in dem das im Seienden Intelligible und dessen Grund gedacht zu werden vermögen.“ (Beierwaltes, Proklos …, S. 368)

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    In der stoisch-neuplatonischen Tradition des Denkens meint conceptus oder conceptio (nóēma, énoia) den in uns seienden Begriff des Einen als Begriff des Begriffes. Wir nennen nicht das Eine selbst, wenn wir das Eine »Eines« nennen, sondern den in uns seienden Begriff des Einen. (vgl. Beierwaltes, W.: Der Begriff des ,unum in nobis‘ bei Proklos, in: Die Metaphysik im Mittelalter. Ihr Ursprung und ihre Bedeutung, De Gruyter, Berlin 1963, S. 255-266) Dieser Begriff ist freilich nicht als abstrakter, fixierter Denkinhalt oder als bloße Vorstellung im Sinne eines Konzeptualimus zu verstehen, sondern als »Verweis auf das Eine in sich«, das vordenkliche Eine. Das Eine in uns ist die „»Spur« des Einen selbst in verborgener Ähnlichkeit“, göttlicher als der Geist in uns. Der „Begriff des Einen in uns ist das denkende und Gestalt gewordene Eine, Entwurf (provole [προβολή]) und Ausdruck (expressio [ἔκφανσις]) des Einen selbst“. (Beierwaltes, Proklos …, S. 369 u. 372)

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    Das Eine in der Seele ist Helligkeit (augḗ): „Das Göttlichste von dem, was in uns ist, ist das Eine, das auch Sokrates die Erleuchtung (illustratio) der Seele nannte, wie er die Wahrheit selbst Licht nannte.“ (Proklos, In Platonis Parmenidem VII 48, 14-16) Die Erleuchtung als Vollendung des Aufstiegs (anagōgḗ) wird begriffen als das „Einswerden des Lichtes im Denken mit dem Lichte des Ursprungs, indem die Seele Ähnliches mit Ähnlichem zusammenbringt“, „um die Einung mit dem Ursprung als Ereignis der Einhelligkeit erfahren zu können.“ Die Möglichkeit dazu bietet das Eine in uns selbst „als das hinaufführende Licht des Denkens (illustratio anime), als das lichthaft verweisende Zeichen (σύνθημα [sýnthema]) des Ursprungs“. Das Eine in uns als dieses lichthafte Zeichen des Ursprungs zu erwecken, sich seines Wesens und Sinnes zu vergewissern, ist die „Voraussetzung dafür, dass wir des Einen selbst bewusst werden“. (Beierwaltes, Proklos …, S. 374 f.)

  61. Der Grund des Bösen: das Phänomen der negativen Verursachung
  62. Info-Box

    altgr.: αἴτιον (aítion)

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    altgr.: κακούργημα (kakúrgēma) – schlechte Handlung, Schlechtigkeit, Bosheit

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    Die Aktivität des Intellekts (διανοητικόν) als Sedimentierung (ὑφίστησι) des überseienden Einen und Guten ist bestimmmt durch die Möglichkeit des Irrens, da sich auf der Ebene seelischen Seins noetisch und sinnlich Seiendes vermischen. Deshalb erzeugt der Intellekt zunächst nur Prä-Konzeptionen (Para-Hypostasen) der Ideen, die aufgrund der Zeitlichkeit der Seele, ihrer Unvollkommenheit, falsch oder täuschend (ἀπατηλὸν λόγον) sein können. Denn eine solche Para-Hypostase (παρυπόστασις) erscheint oft als Wolf im Schafspelz: Neben beabsichtigten können auch unbeabsichtigte Phänomene auftreten, die insofern „negativ verursacht“ sind, als dass sich deren Gründe als substanzlos, also als unwesentlich (ἀνούσιον) erweisen. Genau dieser Mangel an ihrer Bestimmtheit aber ist die „Ursache“ des Bösen. (s. Proklos, De malorum subsistentia. – Vgl. a. „Mitursache“ (συναιτία [synaitía]) i. S. einer „conditio sine qua non“ (Platon, Phd. 99a-b u.  Tim. 46d-e) und den epikureisch-stoischen Begriff der Prolepsis (πρόληψις [Vorwegnahme]).

  63. Glückseligkeit (eudaimonía) – die Sich-Selbstaufhebung der Dialektik
  64. Info-Box

    Von altgr.: εὐδαιμονία (»einen guten Dämon habend«, Wohlergehen). Am Ende (éskhaton) der reduktiv zyklischen Bewegung dialektischen Erkennens erreicht das Denken die Dimension des reinen Geistes, die aufgrund ihrer Ungeschiedenheit und Fülle der Ideen, ihrer Macht in Form von Freiheit (eleuthería) und Selbstsicherheit (autárkeia) »eine wahrhafte Freude und korrekte Einstellung zum Leben« (eudaimonía) bewirkt.

    Info-Box

    Während das Denken als seelenspezifisch diskursives sich in jedem Erkenntnisakt selbst übersteigt, hebt es sich auf geistiger Ebene als dialektisches in sich selbst auf. Das Denken kommt bei sich selbst an, und der Prozess der Anähnlichung (homoíōsis) an das überseiende Eine/Gute vollendet sich als ein Hochgenuss größtmöglichen Glücks und Wohlergehens (eudaimonía). – Die Seele ist sich des Einen-Guten bewusst geworden und hat wiederum in ihrem geistigen Heimathafen festgemacht. (s. o.: Thema 9, 2024)

Diskurs-Thematik ab 2019

Metaphysik der Seele: Personale Würde und die Freiheit des Akteurs

Einzelthemen

  1. Abstrakte Referenzen: Entitäten der Zeit- und Raumlosigkeit – Vernunft (logis­tikón) und die Probleme der Empirie und der zweiwertigen Logik bezüglich des Gehalts begrifflicher Entitäten (Universalienstreit)
  2. Info-Box

    vgl. Seiende, altgr.: όντα (ónta)

    Info-Box

    altgr.: λογιστικόν (Kommunikations- Wahrnehmungs- und Denkfähigkeit)

    Info-Box

    s. „Operationalisierung“

  3. Identität im Lichte von Perdurantismus und Endurantismus und die Probleme der Unterscheidung nach numerischer und qualitativer Identität
  4. Info-Box

    Sichtweise der Fortdauer eines Objekts durch Zeitstadien hindurch (4D-Betrachtung)

    Info-Box

    Sichtweise des Beharrens (des Ausdauerns) eines Objekts in der Zeit (3D-Betrachtung)

  5. Persönliche Identität – Ist das Endurante einer Person eine unsterbliche Seele (Platon) oder ein Organismus (Aristoteles)?
  6. Info-Box

    das Ausdauernde

  7. Ontologisches Trilemma: Insuffizienz von Determinismus, Indeterminismus und Kompatibilismus
  8. Unbewegter Beweger, Kants »kopernikanische« Wende zum Subjekt, Vernunft (logistikón) als »Absolutes Ich« und die Theorie der Akteursverursachung
  9. Info-Box

    nach Aristoteles die in sich ruhende Quelle aller Bewegung und Veränderung

    Info-Box

    Transzendentales Ich: Vermögen und Grenzen der Erkenntnis

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    Kommunikations- Wahrnehmungs- und Denkfähigkeit

    Info-Box

    Johann Gottlieb Fichte: „Ich bin schlechthin, weil ich bin“.

    Info-Box

    in: Roderick M. Chisholm, Human Freedom and the Self, Kansas 1964

  10. Entitäten als Teile des Ganzen: »Homoiomerien« und »Heteroiomerien«, Schellings Potenzbegriff und Martin Bubers Definition des Menschseins als Bewusstsein des »Getrenntseins« und der Möglichkeit des »In-Beziehung-Tretens«: „Ein selbständiges Gegenüber … gibt es nur für den Menschen.
  11. Info-Box

    Martin Buber, Urdistanz und Beziehung, 1950

  12. Von personaler Würde zur Menschenwürde:„da wir alle an der Vernunft teil­nehmen, an dieser Vorzüglichkeit, mit der wir die Tiere übertreffen“ (Cicero, De officiis I,106), und die stoische Art von Vermeidung eines Regredierens ins Animalische durch Verachtung und Zurückweisung von Lust (ebd.)
  13. Die patriarchal-religiöse Personenlehre Tertullians (christliche Trias: Vater [Schöpfer] - Sohn [Geschöpf] - Geist [Substanz]) und die philosophisch-neu­platonische Emanationslehre Plotins: das Eine (Überseiendes), die Vielheit (Seiendes) und das Nichts (Nichtseiendes)
  14. Der Organismus als Akteur (vgl. Aristoteles’ »Über Entstehen und Vergehen« und Goethes »Metamorphose der Pflanzen«) – Freiheit von Widrigkeiten als Bedingung ungestörter Entwicklung (Selbstverwirklichung) wie auch mensch­licher Selbstbestimmung und Arbeit (sog. negative Freiheit)
  15. Info-Box

    vgl.: „Entelechie“ (ἐντελέχεια)

    Info-Box

    vgl.: „Telos“ (τέλος)

  16. Freiheit als Wahlmöglichkeit einer Person (positive Freiheit), z. B. die Möglichkeit der Ausrichtung auf eine oder mehrere Ebenen der Wirklichkeit, nach der Emanationstheorie das Gute (die Wirklichkeit des Überseienden), auf Dinge bzw. Ereignisse (das Seiende) oder das Nichtseiende (die Potentialität der Materie)
  17. Info-Box

    altgr.: ἐνέργεια (enérgeia)

    Info-Box

    altgr.: δύναμις (dýnamis)

  18. Persönliche Freiheit bzgl. der konkreten Wirklichkeit (positive und negative Freiheit) – die Möglichkeit sich einem »selbständigen Gegenüber« zuzuwen­den und sich von ihm in Verantwortung nehmen zu lassen oder sich aber vor ihm »zurückzubiegen« (vgl. Buber: Urdistanz und Beziehung, 1950)
  19. Emanzipation versus Untertanengeist – Freiheit von Fremdherrschaft über das persönliche Leben als normative Richtschnur und Bedingung des mündigen Bürgers sozialer und gerechter Gesellschaften (Freiheit als Menschenrecht)

Diskurs-Thematik ab 2017

Politische Ethik –
von der aristotelischen Eudaimonie zum Weltbürgerrecht

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Wohlergehen (εὐδαιμονία)

Einzelthemen


  1. Nachdem Platon mit seinem aristokratischen Polis-Konzept (Philosophenkönigtum) der Politeia realiter gescheitert war, schuf er in seinem Spätwerk Nomoi das Konzept eines Staatswesens, das nunmehr auf der Kraft von Gesetzen basiert. Allerdings wies sein Schüler Aristoteles nach, dass das Recht nicht allein auf Gesetzen beruhen kann, sondern im Besonderen des Billigen (epieikés) bedarf (EN V 14, 1137a31ff.), denn die Billigkeit (epieíkeia) dient zur Verbesse­rung (epanórthōma) der Gesetze (EN V 14, 1137b12f.) und erhält damit die Stellung eines über das Gesetz hinaus Gerechten (Rhet. 137a27). Auch der platonische Begriff der Klugheit (phró­nēsis) wird präzisiert: Ihm stellt Aristoteles die neutrale ›Schlauheit‹ deinótēs (Cleverness, Scharf­sinn) voran, nämlich das zu tun und erreichen zu können, was zum beabsichtigten Ziel führt (NE VI 12, 1144a). Ist das Ziel unrechtmäßig, so wird die Schläue zur bloßen ›Gerissen­heit‹ oder ›Ver­schlagenheit‹. Um Klugheit kann es sich also nur handeln, wenn das Ziel gut i.S.v. recht­mäßig ist. Als klug (phrónimos) gilt allein jemand, der tugendhaft ist. – Die Ethiken des Aristoteles gelten bislang als die ersten wissenschaftlich fundierten Schriften einer politischen Moralität.

    Aristoteles legt allen Gütern, deren Menschen rechtmäßig bedürfen, ein noetisches Universal-Gut zugrunde: das Wohlergehen (eudaimonía). Es trägt sein Ziel in sich selbst, denn es dient keinem anderen Gut, ist aber dennoch universell bestimmend, da alle anderen Güter daran teilhaben. Ne­ben der Versorgung mit ›äußeren‹ Gütern sieht Aristoteles insbesondere Bedarf danach, das verwirklichen zu können, was man gut kann (érgon). Beides kann nur durch ein Staatswesen (pólis) ermöglicht werden.

    Wie Platon sieht auch Aristoteles die besondere Befähigung und Verwirklichung des Menschen in einem kontemplativen Leben (bíos theōrētikós), doch ein solches kann nicht die Regel sein, da der Mensch auch der äußeren Güter bedarf, die erst durch das Gemeinwesen verfügbar werden. So stellt Aristoteles an die Seite der Erkenntnisethik (sog. ›dianoetische Tugenden‹) eine kommu­nizierte Ethik, die durch Einübung erlernt wird (sog. ›Charaktertugenden‹). Sie ist ebenfalls glücks­fördernd und insofern den Ergebnissen der theōría nachgeordnet.
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    Ich, Du, Er, Sie, Es, Wir, Ihr, Sie – alles ist anders, und doch ist jedes Seiende in der Betrach­tung, oder wie die Griechen sagen: theoría, eines. Plotin drückt das so aus: Alles Seiende ist durch das Eine ein Seiendes, sowohl das, was ein ursprünglich und eigentlich Seiendes ist, wie das, was nur in einem beliebigen Sinne als vorhanden seiend bezeichnet wird. Denn was könnte es sein, wenn es nicht eines ist? (Enn. I 9, 1) Plotin schildert, wohin die Theorie als eine reine Selbstbetrach­tung führt: Sie führt zum Erleben des Einen als ein Zusammenfallen von Betrachter, Betrachtung und Betrachtetem, zu dem ›Schönen‹ an sich. (9, 49ff.) Dieses Sein an sich identifi­ziert Plotin als uni­versalen Geist (noūs), denn aus dem ekstatischen Erleben fällt man, durch die dýnamis der Psyche affiziert, wieder zurück ins Denken, in das Sein als solches, das Betrachte­tes und Betrach­tendes in eine Zweiheit bzw. Vielheit dividiert (Geist als unbestimmte Zweiheit). Was aber bleibt, ist die Gewissheit, dass das Gute das ›Eine‹ sein muss, gewissermaßen durch das Schöne selbst wie unter einer Decke verborgen. Das Eine, das Gute an sich, erweist sich als überseiend und somit als Gott, als Ursprung und Ziel alles Seienden. Daher wir denn trach­ten von hier weg zu gelan­gen und murren über die Fesseln, die uns an das andere binden, um endlich mit unserem ganzen Selbst Jenes zu umfassen und keinen Teil mehr in uns zu haben, mit wel­chen wir nicht Gott be­rühren. (ebd.)

    Plotin hat mit seiner Theorie einen philosophischen Monotheismus errichtet. Die zu seiner Zeit grassierenden ›gnostischen‹ Lehren, die vorgeben, man könne auf der Grundlage von Erkenntnis­sen mit Gott kommunizieren oder gar mit ihm handeln, werden als Irrlehren bloßgestellt. Denn es ist unmöglich, wenn man den Eindruck, die Prägung von etwas anderem in der Seele hat, das Eine zu denken, solange diese Prägung wirksam ist und: man darf keinem Äußerem mehr ge­neigt sein, sondern muss, das Wissen von all dem auslöschend, schon vorher in seiner eigenen Haltung, jetzt aber auch in den Gestalten des Denkens, auch das Wissen von sich selbst auslö­schend in die Schau Jenes eintreten; und ist man so mit Jenem vereint und hat genug gleichsam Umgang mit ihm gepflogen, so möge man wiederkehren und wenn manʼs vermag auch andern von der Vereinigung mit Jenem Kunde geben. (ebd.) D. h., ein ›Selbst‹ (autós) bzw. ein ›Ich‹ (hēmeís) – ein Terminus, den Plotin übr. erstmalig verwendet – gibt es in der Ekstase nicht, und somit auch nichts, das mit Gott kommunizieren könnte. Das Gute besteht allein in der Hinwen­dung zu ihm und das Eine (Gott) als bloße Benennung von Ziel und Ursprung alles Seienden.

    Geschichtlich markiert Plotins Henologie das Ende der antiken Philosophie als ein Abscheiden von allem anderen was hienieden ist, ein Leben, das nicht nach dem Irdischen lüstet, Flucht des Einsamen zum Einsamen. (Enn. I 9, 79 – üb. v. Richard Harder, 1927) Seinen hellenistischen Anfang nahm diese ›Ich‹-Konzeption (Monismus/Individualismus) bereits mit der sokratischen Selbstsorge (s. Platon, Apologie 36c 4–7) bzw. Selbstpflege (s. Alkibiades I 131b), wobei Sokra­tes das Selbst in Bezug auf den delphischen Spruch Erkenne dich selbst allerdings so ver­stand, als werde ihm damit schon eine Göttlichkeit zugestanden. (Alkibiades I 132c–d) Dieses ›selbst‹ sei die Seele: Wer gebietet, selbst zu erkennen, gebietet uns also die Seele zu erken­nen (130e 8–9). Doch nicht der Körper könne der Seele gebieten, sondern nur die Seele dem Körper, denn bei uns gebe es nichts Eigentlicheres als die Seele. (130d 5–6) Daher kann der Mensch nur eine Seele sein. (vgl. 130c 3 f.) Aus diesem Verhältnis leitet Plotin das philo­sophische ›Ich‹ ab: Wie Sokrates den Menschen selbst von dem Seinigen (das, was ihm ge­hört) unter­scheidet (Al­kibiades I 129d 11–e 8), so unterscheidet nun Plotin zwischen ›wir‹ (das Ich als geistig ideelle Gestalt) und ›unser‹ (unser Selbst als das sinnlich Wahrnehmbare). Wir (hê­meis) aber sei­en nach dem Eigentlichen zu benennen. (Enn. IV, 4) Hier endlich er­hält ›das Ich‹ seine Konno­tation als platonische Weltseele, als unterste Bestimmung im Dreige­stirn des Kosmos des Ge­dachten, unterhalb des Einen und des Geistes, während ›das Selbst‹ sich im Kosmos der sinnli­chen Wahr­nehmung in die unwandelbare Materie (hýlē) ergießt, worin es sich auflöst und vergeht.

    Der monistischen Theorie zufolge befindet sich das Sein also zwischen zwei Extremen, die an sich nicht erfahrbar sind: Das überseiende Gute (das Eine), das in seiner energetischen Überfülle quasi die Unendlichkeit (∞) darstellt, und die Materie, die als das Nicht-Seiende (0) die reine Po­tentiali­tät (dýnamis) verkörpert. Leider fehlt in diesem System gänzlich eine Betrachtung des So­zialen, so­dass man auf die politische Theorie des Aristoteles zurückverwiesen ist. Doch machen wir einen Sprung ins 20. Jahrhundert und beschäftigen uns zunächst mit dem Gegenstück zur Henologie, der sog. Heterologie, die 1949 in La part maudite von Georges Bataille (1897–1962) als Wirt­schaftslektüre erscheint. Das Soziale (die Gesellschaft) ist vor allem durch Utilitarismus und Natio­nalismus von starken Homogenisierungstendenzen beherrscht. Gut ist das Passive, das der Ver­nunft gehorcht. Böse ist das Aktive, das der Energie entspringt, so schon William Blake in The Marriage of Heaven and Hell (Ätzplatte 3) unmittelbar nach der französischen Re­volution, und Jean Piel, der Editor von La part maudite, zitiert weiter: Doch gerade die Über­schwänglichkeit ist Schönheit. So beschreibt auch Bataille alle Lebewesen mit einem Übermaß an Energie ausge­stattet, mehr als zum Überleben und Wachstum überhaupt nötig, und diese an und für sich nutzlo­se Energie will auch verwendet sein. Doch einer ökonomisch ausgerichteten Staatsführung kann es nur um eine Vernichtung des Überschüssigen gehen, sei es durch die Er­richtung von Bau­denkmälern, durch industrielle Tätigkeit bis hin zum Krieg, womit der Uti­litarismus (das öko­nomische Nützlichkeitsdenken) Maßnahmen (action) gegen das Leben durchführt, auf die das Individuum wiederum mit Ausschweifung (luxure) und Transgression reagiert. Das Begehren (érōs) wird nicht mehr auf das jenseitige Gute gerichtet, sondern auf das Andere, das individuell Überschwängliche und sozial Verfemte (maudit).

    Das »Andere« ist zugleich »Mehrwert« (agio) als auch »Exkrement«. Skatologisch als das, was wir loswerden wollen, identifiziert Bataille es als eine ›Primärmotivation‹ der von Freud entdeckten sekundär unbewussten ›Teilobjekte‹, um die herum sich ein räumliches Feld der Vermittlung auf­baut, welches topologisch sich nicht auf kartesische Koordinaten reduzieren lässt und deswegen als Währung (devise) »verleugnet« wird. Es sei daher für das Soziale wichtig sich der unbewuss­ten primären Teilobjekte (Exkrement, Phallus, Stimme, Blick …) bewusst zu werden und sie un­ter­scheiden zu lernen, womit er besonders auf die faschistischen Symbole anspielt, aber auch auf die Symbolik anderer Gesellschaftsformen. Wie die Herrschaft über die unbewussten Triebfe­dern eine Souveränität über sich selbst bedeute, so glaubt Bataille, falle auf gesellschaftlicher Ebene vom historischen Ursprung her die Souveränität dem Sakralen zu, eine Ordnung der Ver­schwendung (luxure) zu bestimmen. »Erst nachträglich, in einer fatalen durch die ›buchhaltende Vernunft‹ ein­geleiteten Wende, ist die Religion zu jenem Gesellschaftskitt geworden, als der sie heute er­scheint.« (Elisabeth Lenk [Hrsg.] in: Georges Bataille, Die psychologische Struktur des Faschis­mus. Die Souveränität, Matthes & Seitz 1978) Leider kommt Bataille heterologisch über seine Gleichsetzung von Souveränität und Sakralem nicht hinaus. »Im Grunde geht es um eine patheti­sche Steigerung des gnothi sauten (erkenne dich selber): Ich kann den anderen nicht er­kennen, auch nicht erkennen wollen, es kommt auf Selbsterkenntnis an, auf Selbsterfahrung bis über die Grenze der eigenen Möglichkeiten hinaus.« (Caroline Neubaur, in: Die Zeit, Nr. 14, 1980) Die Be­griffe ›Autonomie‹ und ›Freiheit‹ sind ihm fremd. Das Handeln wird für ihn zur »Ver­ausga­bung«, und Kommunikation besteht für ihn nur noch darin gemeinsam eigene Wünsche zu befrie­digen. Sein Opferbegriff, durch den er das Heterogene als sakrale Souveränität abzuleiten sucht, greift nicht das Eine mit dem Anderen zu vermitteln. Seine Ansicht, dass im Opfer durch das Sterben das gereinigte Ich erscheint, welches das wahre Leben ist, spielt auf das christologi­sche Opfer an, verkennt aber dessen eigentliche Bedeutung, denn in diesem wird ja gerade das Abso­lute (das Eine als Souveränität) zugunsten des Anderen aufgegeben. Von Marx übernimmt er die Idiosyn­krasie gegen die bürgerliche Theorie, aber dessen Grundthese, die Verwirklichung des Menschen durch Arbeit, verwirft er ebenso wie auch alles andere, das nur irgendwie bürger­lich klingt. Den­noch bleibt die Heterologie in ihrer Basis sein Vermächtnis: Der Prozess der Ho­moge­nisierung durch den utilitaristischen Verstand bedeutet zugleich den Prozess der Aus­schließung des Hetero­genen. – Ein Gedanke, der von Michel Foucault (1926 –1984) aufgegriffen wird, der die Heterolo­gie in erheblichem Umfang erweitert.

    Adorno und Horkheimer erkennen in der zwecklosen Zweckmäßigkeit (Dialektik der Aufklä­rung, 1944, Exkurs II) die auf sich selbst rekurrierende Vernunft. – Die Vernunft als Aufklärungs­in­stru­ment des Individuums zur Befreiung aus Fremdherrschaft übernimmt nach der Französi­schen Re­volution selbst die Herrschaft und wird in Form der Aufklärung zur gesellschaftli­chen Doktrin, mit­hin zu totlitärer Grausamkeit. – Doch so, wie henologisch die Hinwendung zum Einen den Geist (noūs als unbestimmte Zweiheit) überwindet, so heterologisch die Hinwendung zum Ande­ren das logistikon als versklavende Vernunft. Freilich kehrt man wieder in die monologisierende Ver­nunft zu­rück, wenn die Begegnung abbricht. (Buber: Das Wort, das gesprochen wird, 1960). Das Ich bil­det sich aus heterologischer Sicht durch das stets wiederholte Opfer an sich selbst: Erweist das Prinzip des Opfers um seiner Irrationalität willen sich als vergänglich, so besteht es zugleich fort kraft seiner Rationalität. … Das Selbst trotzt der Auflösung in blinde Natur sich ab, deren An­spruch das Opfer stets wieder anmeldet. … Das identisch beharrende Selbst, das in der Überwin­dung des Opfers entspringt, ist … ein … Opferritual, das der Mensch, indem er dem Na­turzusam­menhang sein Bewußtsein entgegensetzt, sich selber zelebriert. (Dialektik der Auf­klärung, Exkurs I) Doch mit der Herrschaft über die außermenschliche Natur und über andere Menschen geht eine Verleugnung der Natur im Menschen einher. Eben diese Verleugnung, der Kern aller zivili­satorischen Rationalität, ist die Zelle der fortwuchernden mythischen Irratio­nalität: mit der Ver­leugnung der Natur im Menschen wird nicht bloß das Telos der auswendigen Naturbetrach­tung, sondern das Telos des eigenen Lebens verwirrt und undurch­sichtig. (ebd., Exkurs I) Nur in der Vermittlung, in der das nichtige Sinnesdatum [das Ich] den Gedanken zur ganzen Produktion bringt … und andererseits der Gedanke vorbehaltslos dem übermächtigen Eindruck sich hingibt, wird die kranke Einsamkeit überwunden, in der die ganze Natur be­fangen ist. Allein im bewusst reflektier­ten Gegensatz von Wahrnehmung und Gegen­stand zeigt die Möglichkeit von Versöh­nung sich an. (ebd., Elemente des Antisemitismus, VI) – In der Heterologie geht es um Refle­xion in beide Richtungen, d. h. um die Differenz (ebd.) zwischen sich selbst und dem Anderen. – Ein selb­ständiges Gegenüber gibt es nur für den Menschen und zu dieser Urdistanzierung gesellt sich als Grundakt eine zweite Bewegung, das In-Beziehungtreten. (Martin Buber: Urdis­tanz und Beziehung, 1950)
  3. Dialektik: das sachliche Gespräch als die Methodik der Wissenschaft
  4. Verteilungsgerechtigkeit: Ökonomie versus Chrematistik – und das Mandeville-Paradoxon der Neuzeit (s.: Bernard Mandeville, Der murrende Bienenstock oder wie Schur­ken redlich wurden, 1705. Downloads: Dt. Übersetzung / Engl. Original)
  5. Das Adam Smith Rätsel, die Ausblendung des Chrematistik-Problems durch die Neoklassiker und die heutige Tendenz einer Regression in einen Neo-Mer­kantilismus durch Insuffizienz der aktuell neoliberalen Theoreme
  6. Der liberale Gesellschaftsvertrag: Ehrlichkeit, Transparenz und politisches Ver­antwortungsbewusstsein aller Unternehmer als notwendige Voraussetzung er­folgreichen Wirtschaftens
  7. Der Deutsche Idealismus bei Immanuel Kant und Johann Gottlieb Fichte: Subjektivistische Tugendhaftigkeit contra objektivistische Subordination
  8. Systemische ›Spekulation‹ (Deutscher Idealismus II): der ›absolute Geist‹, und der Gegenentwurf eines ›absoluten Materialismus’‹ durch Marx und Engels
  9. Faschismusforschung (Materialismus.2): Nationalismus als natürlich notwendige Folge des ethischen Werteverlusts durch die kapitalistische Industrialisierung (seit Ende des 18. Jh.) und ein daraus resultierender Terror der Gewalt (20. Jh.)
  10. Notwendigkeit globaler Regeln: Menschenrecht und ökologische Standards, sowie die Ersetzung von blindlings pragmatischem Denken durch theoretische Bildung (bios theoretikos)

Diskurs-Thematik ab 2016

Wie Sprache Wirklichkeit wird –
das dialogische Prinzip (nach M. Buber, 1878 – 1965)

Einzelthemen


  1. Nur durch eine Bezogenheit auf Anderes kann Realität (Dinglichkeit, Gegenständlichkeit) wirk­lich sein. Gleiches gilt für Ideen (Gedachtes). Eine Erkenntnis entsteht nicht innerhalb eines Subjekts, sondern ist als die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt selbst zu verstehen. Die Dialogphilo­sophie nach Martin Buber versteht sich als echte Alternative zu Subjekt- und Be­wusstseinsphilo­sophie.

  2. Der Begriff der Begegnung ist auf dem Wege meines Denkens aus der Kritik des Erlebnis­begriffs, dem ich in meiner Jugend anhing, aus einer radikalen Selbstberichtigung entstanden. ›Erlebnis‹ gehört der exklusiv individuierten psychischen Sphäre an; ›Begegnung‹ oder vielmehr, wie ich zumeist zu sagen vorziehe, […] ›Beziehung‹ transzendiert diese Sphäre von den Ursprün­gen an. (Buber, Werke. Bd. III, 1963, S. 610) S.a. Bubers Zur Geschichte des dialogischen Prinzips von 1954 (u.a. in: Werke. Bd. I, S. 291 ff.).

  3. In Beziehung treten vermag man in zwei völlig unterschiedlichen Haltungen: In der sog. Ich-Es-Haltung biegt sich der Mensch vor der Wirklichkeit zurück. Der oder das Andere (die An­derheit) wird gesondert als objektive oder subjektive Realität erfasst. In der Ich-Du-Haltung hingegen wendet sich der Mensch zur Anderheit hin und lässt sich von ihr ansprechen. Erst diese wirk­lichkeitsbezogene, d.h. dialogische, Haltung ermöglicht echte Begegnung. Begegnung ist nach Buber dadurch gekennzeichnet, dass die Ansprache eines Gegenübers eine Antwort er­heischt. Man wird in Verantwortung genommen: Den Anspruch vernehmen, durch welchen Mißklang auch er an dein Ohr stößt, – und dir von niemand dreinreden lassen! (Buber, Die Frage an den Einzelnen, 1936)

  4. Merkmal einer echten Begegnung ist der Ausschluss jeglicher Sondierung und Orientie­rung (s. Thema 15). Eine Begegnung stellt sich insofern räumlich unumgrenzt und zeitlos dar. Martin Buber verwen­det zu ihrer adverbialen Bestimmung den Ausdruck Zwischen, nicht etwa Zwi­schen­raum. (Heutzutage wür­de man Begegnung wahrscheinlich in einen sog. Kommunika­tionsraum ver­orten.) Hier ist die Wirklichkeit zuhause, hier und nur hier findet Kreativität statt, gene­riert sich das Leben: Der Duwelt steht die gestaltende Macht zu: der Geist kann die Eswelt durchdringen und verwandeln. (Buber, Ich und Du, 1923) Bubers Zwischen meint die Weltbe­zogenheit schlechthin. Das Zwischen ist nicht eine Hilfskonstruktion, sondern wirklicher Ort und Träger zwischenmenschlichen Geschehens; es hat die spezifische Beachtung nicht gefun­den, weil es zum Unterschied von Individualseele und Umwelt keine schlichte Kontinuität auf­weist, sondern sich nach Maßgabe der menschlichen Begegnungen jeweils neu konstituiert; man hat daher natur­gemäß, was ihm zukommt, an die kontinuierlichen Elemente, Seele und Welt, angeschlos­sen. (Buber, Das Problem des Menschen, hebr. 1943, dt. 1947)

  5. Dem Menschen ist eine besondere Seinsweise, somit eine eigne Kategorie des Seins zu eigen. Dieses Sondersein beruht auf seiner Abgehobenheit von der Natur (nicht inner­halb der Natur, aber von ihr aus). – Er ist das einzige uns bekannte Wesen, das sich die Welt und ihre Bestand­teile als Für-sich-Seiendes vorstellt: Ein selbständiges Gegenüber […] gibt es nur für den Men­schen. Zu dieser Urdistanzierung gesellt sich als Grundakt eine zweite Bewegung, das In-Beziehungtreten […]. Daß die erste die Voraussetzung der zweiten ist, ergibt sich da­raus, daß man nur zu distanziertem Seienden, genauer: zu einem ein selb­ständiges Gegen­über gewor­denen, in Beziehung treten kann. (Martin Buber, Urdistanz und Beziehung, 1950)

  6. Durch die Urdistanzierung, nämlich dadurch, dass der Mensch sich und die Anderheit als Für-sich-Seiende aus dem Weltganzen herauslöst, ist der Mensch gezwungen die verlorene Ver­bundenheit durch ein Bilden von geistigen Beziehungen zu ersetzen. Letztendlich erweist sich alles Sein als unendliches Beziehungsgeflecht, so auch das Menschsein selbst. (Zu innerliche Kom­muni­kation vgl. Thema 14 ff.)

  7. Buber unterscheidet in Zwiesprache (1930) drei Wahrnehmungseigenschaften des Menschen: Das Beobachten, das Betrachten und das Innewerden (s. Thema 16). Als Methoden der Menschlichkeit finden sich das Entscheiden (Thema 8) und das Verantworten (Thema 3).

  8. In der Entscheidung entscheidet sich die entzweite Welt zur Einheit (Buber, Der Geist des Orients und das Judentum, Vortrag in Prag, 1912) Entscheidungen zielen im wahrsten Sinne des Wortes (also: dialogisch) stets auf eine Ganzheitlichkeit hin. Durch eine Entscheidung wird eine Geschiedenheit ins Einvernehmliche überführt. Entschiedenheit ist neben dem In-Verantwortung-Genommensein (s. Themen 3 u. 7) wesentliche Voraussetzung für einen echten Dialog. Auch selbst die Verantwortung folgt dem Prinzip der Entscheidung.
  9. Präontische Verbundenheit (das sog. Unbewusste)
  10. Anthropogenese (aus: Urdistanz und Beziehung)
  11. Bewusstwerdung aus dem Zwischen (Protokolle von 1957–60)
  12. Zusammenfassung des Bisherigen (das Zwischenmenschliche)
  13. Ausblick: Martin Buber und die Sozialphilosophie (2. Quartal)

  14. Auch George Herbert Mead geht von der Konstituierung des Selbstbewusstseins durch Kommu­nikation und Interaktion aus. Beide, Buber wie Mead, wurden inspiriert durch die damaligen Ergebnisse der Laut-und-Gebärde-Forschung Wilhelm Wundts. Der Einzelne wird nach Buber nicht wie bei Meads pragmatischem Selbst-Konzept nur durch das Soziale be­stimmt, sondern durch seine Selbstbestimmung als individuelles Fur-sich-Seiendes wird der Einzelne per Dialog auch zum Gestalter des Sozialen. Buber unterscheidet hierbei Individualität und Person. Das Selbstgespräch (das Denken) ist für Buber im Ggs. zu Mead kein persönlicher Dialog, sondern als bloß individuell vorgestelltes ein Monolog. Monolog konnte immer erst werden, nachdem Dialog abbrach oder zerbrach. (Buber, Das Wort, das gesprochen wird, 1960) Bubers Dialogik zielt gerade auf das Zweifelhafte und das im menschlichen Mit- und Nebeneinander Unvereinbare. Es geht um das Entdecken des Fremden, Individuellen, es zum Vorschein zu bringen und persönlich gelten zu lassen, und schon gar nicht um dessen Auflösung. Gleichwohl werden im Dialog sowohl zwischenmenschliche als auch innerliche Gräben überwunden.

  15. Als philosophiegeschichtlicher Ausgangspunkt für Bubers Unterscheidung von Ich-Es- und Ich-Du-Haltung lassen sich Bergsons Untersuchungen über die Erlebniszeit (durée réelle), zuerst in: Essai sur les donées immédiates de la conscience (1889), bestimmen. Bei Buber tritt anstelle des Erlebens die Begegnung in den Vordergrund. Bergsons Dauer entpuppt sich in der Begeg­nung als Zeitlosigkeit, als Gegenwart. Interessant dabei ist Bergsons souvenir du présent (aus: Le souvenir da présent et la fausse reconnaissance, 1908, in: L’énergie spirituelle, 1919), und Husserls Retention (1905): Der zeitlos durchdrungene und räumlich verschmolzene Erleb­nisinhalt einer durée concrète hinterlässt als durée réelle einen Nachklang (Retention/Souve­nir), der sich erst als solcher kognitiv erfassen und weiterverarbeiten lässt.

  16. Als wesentliche Wahrnehmungseigenschaft des Menschen in einer Begegnung definiert Buber 1930 das Innewerden (vgl. Thema 7), ein Begriff, der später auch in Carl Jaspers Existenz­philosophie eine Rolle spielt (obwohl nicht mehr ganz im Buberschen Sinn intrinsischer Wirklich­keit): Wir […] überschreiten die bestimmte Gegenständlichkeit zum Inne­werden [sic!] des sie Umgrei­fenden; es wäre daher möglich, jede Weise des Umgrei­fenden eine Transzendenz zu nennen, nämlich gegenüber jedem in diesem Umgreifenden fassbar Gegen­ständlichen. (C. Jas­per, Von der Wahrheit, 1947, S. 140) – Auch Husserls Epoché verwendet einen Tranzen­denz­begriff. – Allerdings setzt sich Bubers Dialogik deutlich von sol­chen Kon­zepten ab, die von einem (objek­tiven oder subjektiven) Selbst ausgehen und infolge dessen ein Trans­zen­dieren benötigen. In der Tat bezeichnet Innewerden ein Umgriffensein durch die Wirklichkeit (Aktuali­tät), somit ist es der Wirklichkeit inhärent. Tranzendieren aber könnte nur ein bewusstes Erkennen, dies ist jedoch in einer Begegnung gerade aus­geschlossen (Thema 4). Innewerden ist folglich er­kenntnis­loses Wahrnehmen. Eine Erkennt­nis kann erst im nachhinein gewonnen werden, näm­lich erst dann, wenn auf die sog. Re­tention (Thema 15) hin reflek­tiert und damit die Wahrneh­mung auf den Bewusst­seinsakt des Betrach­tens oder des Beob­achtens zurückgebogen wird. (Thema 7) [N]ur aus dem Gedächtnis der Be­ziehung, traumhaft oder bildhaft oder gedankenhaft je nach der Art dieses Menschen, ergänzt er den Kern, der sich im Du gewaltig, alle Eigenschaf­ten umschlie­ßend offenbarte, die Substanz. Nun erst aber auch stellt er die Dinge in einen räumlich-zeitlich-ursächli­chen Zusammenhang, nun erst bekommt jedes seinen Platz, seinen Ablauf, seine Meß­barkeit, seine Bedingt­heit. (Bu­ber, Ich und Du, 1923) – Husserls eidetische Reduktion (Epoché) entspringt hingegen noch einer mehr monologischen Verfahrensweise.

  17. Mit den mikroaktualen Veränderungen gehen auch makroaktuale Veränderungen einher. Jean Gebser beschreibt für unser Zeitalter einen Übergang des Bewusstseins vom Mentalen ins Integ­rale: Während die Wirklichkeit schlechthin keiner Verwandlung unterworfen ist, da sie selber nichts als stete Wandlung zu sein scheint, […] unterliegt, was wir für Wirklichkeit halten, von Lebensalter zu Lebensalter und von Generation zu Generation einer Veränderung. Diese Verän­de­rung ist gemeint, welche hin und wieder derart einschneidend ist, daß wir genötigt sind, sie als Verwandlung anzuerkennen: als Verwandlung unserer selbst, vornehmlich unseres Bewußtseins, und damit der Weise, wie wir die Wirklichkeit betrachten. (J. Gebser, In der Bewährung, Bern 19611, Francke Verlag, Bern und München 21969, S. 10)
  18. Anderheit (Martin Buber) und Alter Ego (Max Scheler), ein Vergleich
  19. Dialogische Alltagspraxis – Schweigen und Gespräch

  20. Machen wir Ernst mit dem Denken zwischen Ich und Du, dann ist es nicht genug, auf das gedachte andre Denksubjekt hin zu denken: man müßte, auch mit dem Denken, eben mit dem Denken, auf den andern nicht gedachten, sondern leibhaft vorhandenen Menschen hin leben, auf seine Konkretheit hin [,…] auf seine Person. (Martin Buber, Zwiesprache, 1930)
  21. Der Logos, das Wort, das gesprochen wird

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