Weisheit (sophía): Wirklich weise ist derjenige, der mehr Anschauung (theōría) besitzt als Realität (Gegenständlichkeit) zerstören kann. (Indianisches Sprichwort) Und ›Philosophie‹ bedeutet: ›Freundschaft (philía) zur Weisheit‹.
Philosophie ist ein Verhalten, das unser Menschsein begründet. Es bricht den Schein (eikasía, aísthēsis) in Begriffe und vermittelt diese mit der leiblichen Verfasstheit zu Gunsten wirklichkeitsadäquater Wahrnehmung (epaísthēma) und sinnvollem Handeln (politikḗ). Philosophie erzeugt optionale Reflexion, die zur Versöhnung des Gegenstands mit der Rezeption führt – beglückende Einsichten, denen wir unser menschliches Leben verdanken. – Sie ist für uns unverzichtbar, denn sie widersetzt sich bloßer Willkür und dient somit der Selbsterhaltung des Menschen. – Sie überprüft unsere unterschiedlichen Weltanschauungen auf Plausibilität und Widersprüche, wodurch sich eine Metaebene des Wissens konstituiert, die unserem Menschsein eine sowohl sichere als auch befreiende Orientierung verleiht.
Diskurs-Thematik ab 2024
Die Kür – eine freie Auswahl philosophischer Themen
Einzelthemen
Empathie und die Trias »Intuition – Fantasie – Intelligenz«
Die Begrenztheit (péras) aller natürlichen Dinge – Leitmotiv der aristotelischen Vierursachenlehre
Mathematik: Schönheit und Güte der Symmetrie aus trigonometrischer Sicht
Aristoteles’ »Über Entstehen und Vergehen« alles (irdisch-)natürlich Sinnlichen
Die Philosophie der Moral (Ethik) und ihre fünf Begründungsmodelle
Die Ideologie: Irreal Rationales versus das real Irrationale des Lebens
Die kantsche Trias »Welt, Mensch und Gott« als Synonym für »Unendlichkeit, Freiheit und Unsterblichkeit«
Hybris der Intellektualität – die Verdrängung des neuplatonischen Henophanie-Konzepts
Wie der Seele wieder Flügel wachsen – Platons Lehre von den vier heilsamen Arten gottgewirkten Wahnsinns (manía)
Das homöotische Streben im Verhalten zu sich selbst und in der Beziehung zum Anderen
Evolutiver Wandel der Politik – Demokratie als das Konzept der leeren Mitte
Wenn unser Universum auch eines Tages in absoluter Kälte erstarren wird, was können wir bis dahin doch nicht alles an Schönem und Guten tun?!
Diskurs-Thematik ab 2023
Menschlichkeit – Abstraktion, Transzendenz und Ethik (soziale Verantwortung)
Einzelthemen
Der Schrecken der Natur (phýsis) und das Entlarven von Scheinwissen (dókos) – der Anfang aller Wissenschaft (epistḗmē)
Dianoetische und epistemische Abstraktion und ihre umterschiedlichen Prämissen und Ergebnisse
Das Gute, Schöne und Wahre – Leitgestirn von Kunst und Wissenschaft
Das Sprachvermögen als kluger Wagenlenker menschlichen Lebens
Das Wissen über die Genese der Klugheit in Platons Marionettengleichnis (Nomoi 643b–645c)
Die Klugheit als allgemeine Gesetzgebung im Hinblick auf die Vielzahl an Bedürfnissen und Meinungen
Wenn die Klugheit fehlt – Über die Gefahr eines Rückfalls in die Barbarei
Das Moravecsche Paradox – menschliche Intelligenz und maschinelles Lernen
Informeller Dialog und funktionaler Monolog – der wesentliche Unterschied zwischen natürlichen und künstlichen Sprachen
Der Atem der Welt – die deduktive Top-Down- und die induktive Bottom-Up-Bewegung
Die abduktiv-diskursive Denkbewegung und ihre generativen Momente Atopie, Utopie und Heterotopie
Die leere Mitte – notwendige Voraussetzung für einen gesellschaftlichen Ethik-Diskurs
„Humanitas“ – oder auf gut Deutsch: „das Mitgefühl“
Das Tierische und das Maschinelle als die beiden Ausgangspunkte für eine Ätiologie der Unmenschlichkeit
Individuelle Freiheit – Bedingung und Ziel von Recht und Gesetz
Freiheit in der Gestaltung der Zukunft versus Determinismus des Vergangenen
Formen der Motivation: Freiheit und Mitgefühl statt Angst und Terror
Ethik als die unbedingte Verbundenheit von Freiheit und Mitgefühl
Freiheitliche Emergenz oder emanativer Fatalismus?
Der Akt des Mitgefühls: das »Teilen« oder »Allozieren« als Mehrung von Freude und Minderung von Leid
Der dialektische Aspekt des Mitgefühls: die »Re-Subjektivierung« der Dinge (Georg Lucács) als »Erlösung« aus ihrer Entfremdung (Ernst Bloch)
Ausblick: Intuition und Empathie – ein Widerspruch?
Diskurs-Thematik ab 2022
Von der Logik zur Grammatik: unsere Welt der Tat – streng postplatonisch, ganz interaktiv
Einzelthemen
„Und man wendete sich zu seinem Nachbarn (plēsíon állon) …“ (Homer: Ode 10, 37 ff.) und der altaramäische Begriff qarrī ́b (Mitmensch)
Eine erste wissenschaftliche, d. h. auf Wahrheit hinzielende Definition der Goldenen Regel durch den Sophisten Isokrates (436–338 v. Chr.)
Der Wahrheitsbegriff in der Praxis – ein Rekurs auf Bewährtes, auf etwas, das Bestand hat
Theologischer Exkurs: Die Sprache als Schöpfungsakt und ihre Funktionalität als göttliche Offenbarung und Erlösung
Der Absolutheitscharakter der Sprache: weder objektiv noch subjektiv, sondern beides zugleich
Das Generieren von Sprache durch bloßes Miteinander-in-Beziehung-Treten
Der Anspruch als Entscheidungsgrundlage für ein Ablehnen oder Annehmen desselben
»Nur der Wille allein« – die Epoché als notwendige Bedingung für ein echtes Gespräch
Geheimnis des Egos: „Du bist, weil dir ein Name gegeben wurde.“
Individualität und Persönlichkeit – die Sprache als Mittler und Speicherstätte
Die heuristische Synonomie von Licht (phōs) und Sprache (lógos) – die Lust und der Anspruch, als Einzelnes alles zu sein
Die Psychologie des Trotzes – Selbstbehauptung und Widerstandsgeist
Die Grundworte der Sprache: das Nein des Trotzes und das Ja der Liebe
»Freiheit« oder die Fähigkeit entschlossenEntscheidungen treffen zu können
Entscheidungsfreiheit – Grundlage individueller Moral und gesellschaftlicher Rechtsnormen
»Demokratie« oder die Kunst multiperspektivischer Zusammenschau und gemeinsamen Handelns
Demokratie – notwendige Voraussetzung für Frieden und dauerhaftes Glück
Das Geheimnis des Sozialen: „Wir sind, weil uns ein gemeinsamer Name gegeben wurde.“
Diskursives Denken und das daraus resultierende Problem einer ausschließlich »negativ« verstandenen Freiheit
Keine Freiheit ohne Transzendenz: Dialektisches Denken – notwendige Voraussetzung für ein Verständnis »positiver« Freiheit
Das transzendentale Plateau des Schweigens – Sein und Nichtsein zugleich
Wenn schon Transzendenz, dann wohin?! – Oder: Woher kommen wir, und wohin gehen wir?
Die Notwendigkeit demokratischer Kontrollstrukturen für einen Übergang vom Prinzip gesellschaftlicher Führer-Ordnungen zu einer Stakeholder-Kultur
50 Jahre „Gier ist gut“ und die aktuellen Herausforderungen an Fantasie und Logos des Menschen
Utopische Visionen oder der Weg in eine bessere Welt von morgen
Menschlichkeit versus eine Renaissance vom „Gleichgewicht des Schreckens“
Das neuplatonische Konzept von Wahrheit und Wirklichkeit: Das Eine (to hen), Gott (theoũ lógon) und die begehrende Liebe (ho érōs)
Einzelthemen
Die Möglichkeit des Umlenkens seelisch-diskursiven (Unter-)Suchens auf die innerliche, dialektisch-autopoietische Agilität des Geistes
Das Eine: das überseiende Prinzip alles Seienden (hyperóntōs), die reine Wirklichkeit (enérgeia)
Der Geist (noūs), Hypostase des Einen – Produktionsstätte der platonischen, streng hierarchisch strukturierten Ideen: „göttliche" Intelligenz (theoũ lógon)
Die (Welt-)Seele, Hypostase des Geistes – Vermittlungsinstanz von Selbigkeit und Andersheit, diskursive Substitution der Ideen-Rangordnung
Die urbildliche Ordnung (kósmos noētós) aus Einem, Geist und (Welt-)Seele
Die ewige Präsenz des Geistes und das Chronologische der Seelenaktivität
Das sinnlich Wahrnehmbare (kósmos aisthētós) – Abbild (eídōlon) der urbildlichen Ordnung, die tatsächliche Welt der Dinge (tà prágmata)
Die Natur (phýsis), Hypostase der Weltseele, und die sinnlichen Formen (morphés), Abbilder (eídōla) der Ideen
Die Urmaterie (hýlē): Hypostase der Natur – Nichtseiendes (mē ón), pure Mächtigkeit (dýnamis) und der Zerfall aller Formen ins Dunkle (cháos)
Die Einzelseelen und der Eros (érōs), Motor der Vermittlung (méson), des Erkennens (gnṓmē) und der Selbstaufhebung des Denkens (ékstasis)
Die Wahrheit (alḗtheia) erkennen – die triadische Gestalt (skhḗma) der Ideen im Lichte des Prinzips des überseienden Einen
Platons Eudaimonie – Symmetrie als Sinfonie der Gesellschaft und Harmonie des Einzelnen
Wahrheit und das befriedigende Heureka-Gefühl des Evidenzerlebnisses
Das Begehren (érōs) und das empirische „Dunst der Dünste" (havel havālīm) des salomonischen Versammlers: „Alles ist Eitelkeit." (Kohelet 1.2)
Das überseiende Eine (hen), die Vergöttlichung des Denkens (nóēsis) und das Geheimnis der Henaden (göttlich schickalhafter Bahnen)
Die Denkbeobachtung – Urphänomen und Methode aller Wissenschaft und Philosophie
Oszillation des Denkens: die Trias »Verharren – Hervorgang – Rückkehr«
Geist (noūs) und Verstand (diánoia), Idee (idéa) und Sprache (phṓnēma)
Hierarchische Dihairesis – Gattung (génos) und Spezies (eídos)
Erzeugnisse des Denkens: Nachahmung (mímēsis), Teilnahme (metousía), Wiedererinnerung (anámnēsis) und die Freundschaft (philía)
Urprinzip und Chaos – das überseiende Eine und die nicht-seiende Materie
Aristoteles: Dynamisierung des Seins – die Materie als »Stoffursache«
Goethes Begriff der »Imagination« – das Ingenium, zugleich geistigen als auch leiblichen Auges sehen zu können
Martin Buber: die Wahrheit des Wortes – Derivat der Treue (ʼémun)
Die Genese des Weltenalls – Platons Lehre von den fünf Mega-Gattungen (mégista génē) und der Mischung von Begrenzt- und Unbegrenztheit
Fazit: Das Sein zwischen überseiendem Einen und nicht-seiender Materie als ein Kosmos permanent emanativer Offenbarung und reduktiven Erkennens
Ausblick: Aufbruch in ›das Weltliche‹ – das postplatonische Konzept des ›anderen Nächsten‹ (plēsíos állos)
Diskurs-Thematik ab 2020
Dialektisches Denken – seine Struktur, Dynamik und Methode (nach Proklos)
Einzelthemen
Die Idee (eídos, idéa) – das zur Gestalt vollendete Denkbare und Seiende
Der Geist (noūs) – die Gemeinschaft als auch die Fülle der Ideen
TRIAS – die elementare Struktur von Seiendem und Gedachtem
Selbiges und Anderes – begrenzt und unbegrenzt, Seiendes und Nichts
Das Sein (ousía) – Einheit der Dyas »Andersheit und Selbigkeit«
Das Denken: diskursiv fortschreitend und dialektisch umkreisend
Ekstase und das überseiendeEine – das Schöne und das Gute
Einfachheit des überseienden Einen und das analoge Begehren (érōs)
Das Übermaß an Nicht-Mächtigkeit: Quelle und Prinzip der Mächtigkeit
Das Wort (lógos) – Idee und Ursache von jeglichem Sein
Die Struktur des Denkens: »Verharren – Hervorgang – Rückkehr«
Das Prinzip der Einheit: der triadische Kreis »Anfang – Mitte – Ende«
Das Sein als Denkbarkeit (Intelligibilität) und das Denkende (Intellektuale)
Die Trias »Sein, Leben und Geist«: Verursachung – Durchdringung – Teilhabe
Christlicher Exkurs: die menschliche Person – Bild (imago) des Ewigen
Das Grundprinzip des Seins: »Verharren – Hervorgang – Rückkehr«
Die Einheit der Welt als Analogon zum zirkulären Vollzug des Geistes
Der wahrhaft seiende Kreis – Bild des ort- und zeitlosen Geistes
Die Seele – Nachahmung des Geistes, Hypostase der Vermittlung
Zeit als Seinsverfassung der Seele und das weltliche In-der-Zeit-Sein
Die Zeitlichkeit der Seele: Initialmoment für die Überwindung von Zeit
Geschichtliche Periodizität und das Erscheinen der Idee in der Zeit
Die Dialektik – Prädisposition für ein Leben nach dem Geiste
Dialektik II: Grund der Wissenschaft und Wissenschaft des Grundes
Mathematik und das ernste Spiel der hypothetischen Dialektik
Anagogische Dialektik: Abstraktion als Abkehr, Inwendigkeit und Überstieg
Analogische Dialektik – die Methode der unähnlichen Ähnlichkeit
Negative Dialektik – das Begreifen und die Negation der Negation
Das Eine in uns als Intelligenz, Konzept und Erleuchtung (illustratio)
Der Grund des Bösen: das Phänomen der negativen Verursachung
Glückseligkeit (eudaimonía) – die Sich-Selbstaufhebung der Dialektik
Diskurs-Thematik ab 2019
Metaphysik der Seele: Personale Würde und die Freiheit des Akteurs
Einzelthemen
Abstrakte Referenzen: Entitäten der Zeit- und Raumlosigkeit – Vernunft (logistikón) und die Probleme der Empirie und der zweiwertigen Logik bezüglich des Gehalts begrifflicher Entitäten (Universalienstreit)
Identität im Lichte von Perdurantismus und Endurantismus und die Probleme der Unterscheidung nach numerischer und qualitativer Identität
Persönliche Identität – Ist das Endurante einer Person eine unsterbliche Seele (Platon) oder ein Organismus (Aristoteles)?
Ontologisches Trilemma: Insuffizienz von Determinismus, Indeterminismus und Kompatibilismus
Unbewegter Beweger, Kants »kopernikanische« Wende zum Subjekt, Vernunft (logistikón) als »Absolutes Ich« und die Theorie der Akteursverursachung
Entitäten als Teile des Ganzen: »Homoiomerien« und »Heteroiomerien«, Schellings Potenzbegriff und Martin Bubers Definition des Menschseins als Bewusstsein des »Getrenntseins« und der Möglichkeit des »In-Beziehung-Tretens«: „Ein selbständiges Gegenüber … gibt es nur für den Menschen.“
Von personaler Würde zur Menschenwürde:„da wir alle an der Vernunft teilnehmen, an dieser Vorzüglichkeit, mit der wir die Tiere übertreffen“ (Cicero, De officiis I,106), und die stoische Art von Vermeidung eines Regredierens ins Animalische durch Verachtung und Zurückweisung von Lust (ebd.)
Die patriarchal-religiöse Personenlehre Tertullians (christliche Trias: Vater [Schöpfer] - Sohn [Geschöpf] - Geist [Substanz]) und die philosophisch-neuplatonische Emanationslehre Plotins: das Eine (Überseiendes), die Vielheit (Seiendes) und das Nichts (Nichtseiendes)
Der Organismus als Akteur (vgl. Aristoteles’ »Über Entstehen und Vergehen« und Goethes »Metamorphose der Pflanzen«) – Freiheit von Widrigkeiten als Bedingung ungestörter Entwicklung (Selbstverwirklichung) wie auch menschlicher Selbstbestimmung und Arbeit (sog. negative Freiheit)
Freiheit als Wahlmöglichkeit einer Person (positive Freiheit), z. B. die Möglichkeit der Ausrichtung auf eine oder mehrere Ebenen der Wirklichkeit, nach der Emanationstheorie das Gute (die Wirklichkeit des Überseienden), auf Dinge bzw. Ereignisse (das Seiende) oder das Nichtseiende (die Potentialität der Materie)
Persönliche Freiheit bzgl. der konkreten Wirklichkeit (positive und negative Freiheit) – die Möglichkeit sich einem »selbständigen Gegenüber« zuzuwenden und sich von ihm in Verantwortung nehmen zu lassen oder sich aber vor ihm »zurückzubiegen« (vgl. Buber: Urdistanz und Beziehung, 1950)
Emanzipation versus Untertanengeist – Freiheit von Fremdherrschaft über das persönliche Leben als normative Richtschnur und Bedingung des mündigen Bürgers sozialer und gerechter Gesellschaften (Freiheit als Menschenrecht)
Diskurs-Thematik ab 2017
Politische Ethik –
von der aristotelischen Eudaimonie zum Weltbürgerrecht
Einzelthemen
Nachdem Platon mit seinem aristokratischen Polis-Konzept (Philosophenkönigtum) der Politeia realiter gescheitert war, schuf er in seinem Spätwerk Nomoi das Konzept eines Staatswesens, das nunmehr auf der Kraft von Gesetzen basiert. Allerdings wies sein Schüler Aristoteles nach, dass das Recht nicht allein auf Gesetzen beruhen kann, sondern im Besonderen des Billigen (epieikés) bedarf (EN V 14, 1137a31ff.), denn die Billigkeit (epieíkeia) dient zur Verbesserung (epanórthōma) der Gesetze (EN V 14, 1137b12f.) und erhält damit die Stellung eines über das Gesetz hinaus Gerechten (Rhet. 137a27). Auch der platonische Begriff der Klugheit (phrónēsis) wird präzisiert: Ihm stellt Aristoteles die neutrale ›Schlauheit‹ deinótēs (Cleverness, Scharfsinn) voran, nämlich das zu tun und erreichen zu können, was zum beabsichtigten Ziel führt (NE VI 12, 1144a). Ist das Ziel unrechtmäßig, so wird die Schläue zur bloßen ›Gerissenheit‹ oder ›Verschlagenheit‹. Um Klugheit kann es sich also nur handeln, wenn das Ziel gut i.S.v. rechtmäßig ist. Als klug (phrónimos) gilt allein jemand, der tugendhaft ist. – Die Ethiken des Aristoteles gelten bislang als die ersten wissenschaftlich fundierten Schriften einer politischen Moralität.
Aristoteles legt allen Gütern, deren Menschen rechtmäßig bedürfen, ein noetisches Universal-Gut zugrunde: das Wohlergehen (eudaimonía). Es trägt sein Ziel in sich selbst, denn es dient keinem anderen Gut, ist aber dennoch universell bestimmend, da alle anderen Güter daran teilhaben. Neben der Versorgung mit ›äußeren‹ Gütern sieht Aristoteles insbesondere Bedarf danach, das verwirklichen zu können, was man gut kann (érgon). Beides kann nur durch ein Staatswesen (pólis) ermöglicht werden.
Wie Platon sieht auch Aristoteles die besondere Befähigung und Verwirklichung des Menschen in einem kontemplativen Leben (bíos theōrētikós), doch ein solches kann nicht die Regel sein, da der Mensch auch der äußeren Güter bedarf, die erst durch das Gemeinwesen verfügbar werden. So stellt Aristoteles an die Seite der Erkenntnisethik (sog. ›dianoetische Tugenden‹) eine kommunizierte Ethik, die durch Einübung erlernt wird (sog. ›Charaktertugenden‹). Sie ist ebenfalls glücksfördernd und insofern den Ergebnissen der theōría nachgeordnet.
Druckbare Version Ich, Du, Er, Sie, Es, Wir, Ihr, Sie – alles ist anders, und doch ist jedes Seiende in der Betrachtung, oder wie die Griechen sagen: theoría, eines. Plotin drückt das so aus: Alles Seiende ist durch das Eine ein Seiendes, sowohl das, was ein ursprünglich und eigentlich Seiendes ist, wie das, was nur in einem beliebigen Sinne als vorhanden seiend bezeichnet wird. Denn was könnte es sein, wenn es nicht eines ist? (Enn. I 9, 1) Plotin schildert, wohin die Theorie als eine reine Selbstbetrachtung führt: Sie führt zum Erleben des Einen als ein Zusammenfallen von Betrachter, Betrachtung und Betrachtetem, zu dem ›Schönen‹ an sich. (9, 49ff.) Dieses Sein an sich identifiziert Plotin als universalen Geist (noūs), denn aus dem ekstatischen Erleben fällt man, durch die dýnamis der Psyche affiziert, wieder zurück ins Denken, in das Sein als solches, das Betrachtetes und Betrachtendes in eine Zweiheit bzw. Vielheit dividiert (Geist als unbestimmte Zweiheit). Was aber bleibt, ist die Gewissheit, dass das Gute das ›Eine‹ sein muss, gewissermaßen durch das Schöne selbst wie unter einer Decke verborgen. Das Eine, das Gute an sich, erweist sich als überseiend und somit als Gott, als Ursprung und Ziel alles Seienden. Daher wir denn trachten von hier weg zu gelangen und murren über die Fesseln, die uns an das andere binden, um endlich mit unserem ganzen Selbst Jenes zu umfassen und keinen Teil mehr in uns zu haben, mit welchen wir nicht Gott berühren. (ebd.)
Plotin hat mit seiner Theorie einen philosophischen Monotheismus errichtet. Die zu seiner Zeit grassierenden ›gnostischen‹ Lehren, die vorgeben, man könne auf der Grundlage von Erkenntnissen mit Gott kommunizieren oder gar mit ihm handeln, werden als Irrlehren bloßgestellt. Denn es ist unmöglich, wenn man den Eindruck, die Prägung von etwas anderem in der Seele hat, das Eine zu denken, solange diese Prägung wirksam ist und: man darf keinem Äußerem mehr geneigt sein, sondern muss, das Wissen von all dem auslöschend, schon vorher in seiner eigenen Haltung, jetzt aber auch in den Gestalten des Denkens, auch das Wissen von sich selbst auslöschend in die Schau Jenes eintreten; und ist man so mit Jenem vereint und hat genug gleichsam Umgang mit ihm gepflogen, so möge man wiederkehren und wenn manʼs vermag auch andern von der Vereinigung mit Jenem Kunde geben. (ebd.) D. h., ein ›Selbst‹ (autós) bzw. ein ›Ich‹ (hēmeís) – ein Terminus, den Plotin übr. erstmalig verwendet – gibt es in der Ekstase nicht, und somit auch nichts, das mit Gott kommunizieren könnte. Das Gute besteht allein in der Hinwendung zu ihm und das Eine (Gott) als bloße Benennung von Ziel und Ursprung alles Seienden.
Geschichtlich markiert Plotins Henologie das Ende der antiken Philosophie als ein Abscheiden von allem anderen was hienieden ist, ein Leben, das nicht nach dem Irdischen lüstet, Flucht des Einsamen zum Einsamen. (Enn. I 9, 79 – üb. v. Richard Harder, 1927) Seinen hellenistischen Anfang nahm diese ›Ich‹-Konzeption (Monismus/Individualismus) bereits mit der sokratischen Selbstsorge (s. Platon, Apologie 36c 4–7) bzw. Selbstpflege (s. Alkibiades I 131b), wobei Sokrates das Selbst in Bezug auf den delphischen Spruch Erkenne dich selbst allerdings so verstand, als werde ihm damit schon eine Göttlichkeit zugestanden. (Alkibiades I 132c–d) Dieses ›selbst‹ sei die Seele: Wer gebietet, selbst zu erkennen, gebietet uns also die Seele zu erkennen (130e 8–9). Doch nicht der Körper könne der Seele gebieten, sondern nur die Seele dem Körper, denn bei uns gebe es nichts Eigentlicheres als die Seele. (130d 5–6) Daher kann der Mensch nur eine Seele sein. (vgl. 130c 3 f.) Aus diesem Verhältnis leitet Plotin das philosophische ›Ich‹ ab: Wie Sokrates den Menschen selbst von dem Seinigen (das, was ihm gehört) unterscheidet (Alkibiades I 129d 11–e 8), so unterscheidet nun Plotin zwischen ›wir‹ (das Ich als geistig ideelle Gestalt) und ›unser‹ (unser Selbst als das sinnlich Wahrnehmbare). Wir (hêmeis) aber seien nach dem Eigentlichen zu benennen. (Enn. IV, 4) Hier endlich erhält ›das Ich‹ seine Konnotation als platonische Weltseele, als unterste Bestimmung im Dreigestirn des Kosmos des Gedachten, unterhalb des Einen und des Geistes, während ›das Selbst‹ sich im Kosmos der sinnlichen Wahrnehmung in die unwandelbare Materie (hýlē) ergießt, worin es sich auflöst und vergeht.
Der monistischen Theorie zufolge befindet sich das Sein also zwischen zwei Extremen, die an sich nicht erfahrbar sind: Das überseiende Gute (das Eine), das in seiner energetischen Überfülle quasi die Unendlichkeit (∞) darstellt, und die Materie, die als das Nicht-Seiende (0) die reine Potentialität (dýnamis) verkörpert. Leider fehlt in diesem System gänzlich eine Betrachtung des Sozialen, sodass man auf die politische Theorie des Aristoteles zurückverwiesen ist. Doch machen wir einen Sprung ins 20. Jahrhundert und beschäftigen uns zunächst mit dem Gegenstück zur Henologie, der sog. Heterologie, die 1949 in La part maudite von Georges Bataille (1897–1962) als Wirtschaftslektüre erscheint. Das Soziale (die Gesellschaft) ist vor allem durch Utilitarismus und Nationalismus von starken Homogenisierungstendenzen beherrscht. Gut ist das Passive, das der Vernunft gehorcht. Böse ist das Aktive, das der Energie entspringt, so schon William Blake in The Marriage of Heaven and Hell (Ätzplatte 3) unmittelbar nach der französischen Revolution, und Jean Piel, der Editor von La part maudite, zitiert weiter: Doch gerade die Überschwänglichkeit ist Schönheit. So beschreibt auch Bataille alle Lebewesen mit einem Übermaß an Energie ausgestattet, mehr als zum Überleben und Wachstum überhaupt nötig, und diese an und für sich nutzlose Energie will auch verwendet sein. Doch einer ökonomisch ausgerichteten Staatsführung kann es nur um eine Vernichtung des Überschüssigen gehen, sei es durch die Errichtung von Baudenkmälern, durch industrielle Tätigkeit bis hin zum Krieg, womit der Utilitarismus (das ökonomische Nützlichkeitsdenken) Maßnahmen (action) gegen das Leben durchführt, auf die das Individuum wiederum mit Ausschweifung (luxure) und Transgression reagiert. Das Begehren (érōs) wird nicht mehr auf das jenseitige Gute gerichtet, sondern auf das Andere, das individuell Überschwängliche und sozial Verfemte (maudit).
Das »Andere« ist zugleich »Mehrwert« (agio) als auch »Exkrement«. Skatologisch als das, was wir loswerden wollen, identifiziert Bataille es als eine ›Primärmotivation‹ der von Freud entdeckten sekundär unbewussten ›Teilobjekte‹, um die herum sich ein räumliches Feld der Vermittlung aufbaut, welches topologisch sich nicht auf kartesische Koordinaten reduzieren lässt und deswegen als Währung (devise) »verleugnet« wird. Es sei daher für das Soziale wichtig sich der unbewussten primären Teilobjekte (Exkrement, Phallus, Stimme, Blick …) bewusst zu werden und sie unterscheiden zu lernen, womit er besonders auf die faschistischen Symbole anspielt, aber auch auf die Symbolik anderer Gesellschaftsformen. Wie die Herrschaft über die unbewussten Triebfedern eine Souveränität über sich selbst bedeute, so glaubt Bataille, falle auf gesellschaftlicher Ebene vom historischen Ursprung her die Souveränität dem Sakralen zu, eine Ordnung der Verschwendung (luxure) zu bestimmen. »Erst nachträglich, in einer fatalen durch die ›buchhaltende Vernunft‹ eingeleiteten Wende, ist die Religion zu jenem Gesellschaftskitt geworden, als der sie heute erscheint.« (Elisabeth Lenk [Hrsg.] in: Georges Bataille, Die psychologische Struktur des Faschismus. Die Souveränität, Matthes & Seitz 1978) Leider kommt Bataille heterologisch über seine Gleichsetzung von Souveränität und Sakralem nicht hinaus. »Im Grunde geht es um eine pathetische Steigerung des gnothi sauten (erkenne dich selber): Ich kann den anderen nicht erkennen, auch nicht erkennen wollen, es kommt auf Selbsterkenntnis an, auf Selbsterfahrung bis über die Grenze der eigenen Möglichkeiten hinaus.« (Caroline Neubaur, in: Die Zeit, Nr. 14, 1980) Die Begriffe ›Autonomie‹ und ›Freiheit‹ sind ihm fremd. Das Handeln wird für ihn zur »Verausgabung«, und Kommunikation besteht für ihn nur noch darin gemeinsam eigene Wünsche zu befriedigen. Sein Opferbegriff, durch den er das Heterogene als sakrale Souveränität abzuleiten sucht, greift nicht das Eine mit dem Anderen zu vermitteln. Seine Ansicht, dass im Opfer durch das Sterben das gereinigte Ich erscheint, welches das wahre Leben ist, spielt auf das christologische Opfer an, verkennt aber dessen eigentliche Bedeutung, denn in diesem wird ja gerade das Absolute (das Eine als Souveränität) zugunsten des Anderen aufgegeben. Von Marx übernimmt er die Idiosynkrasie gegen die bürgerliche Theorie, aber dessen Grundthese, die Verwirklichung des Menschen durch Arbeit, verwirft er ebenso wie auch alles andere, das nur irgendwie bürgerlich klingt. Dennoch bleibt die Heterologie in ihrer Basis sein Vermächtnis: Der Prozess der Homogenisierung durch den utilitaristischen Verstand bedeutet zugleich den Prozess der Ausschließung des Heterogenen. – Ein Gedanke, der von Michel Foucault (1926 –1984) aufgegriffen wird, der die Heterologie in erheblichem Umfang erweitert.
Adorno und Horkheimer erkennen in der zwecklosen Zweckmäßigkeit (Dialektik der Aufklärung, 1944, Exkurs II) die auf sich selbst rekurrierende Vernunft. – Die Vernunft als Aufklärungsinstrument des Individuums zur Befreiung aus Fremdherrschaft übernimmt nach der Französischen Revolution selbst die Herrschaft und wird in Form der Aufklärung zur gesellschaftlichen Doktrin, mithin zu totlitärer Grausamkeit. – Doch so, wie henologisch die Hinwendung zum Einen den Geist (noūs als unbestimmte Zweiheit) überwindet, so heterologisch die Hinwendung zum Anderen das logistikon als versklavende Vernunft. Freilich kehrt man wieder in die monologisierende Vernunft zurück, wenn die Begegnung abbricht. (Buber: Das Wort, das gesprochen wird, 1960). Das Ich bildet sich aus heterologischer Sicht durch das stets wiederholte Opfer an sich selbst: Erweist das Prinzip des Opfers um seiner Irrationalität willen sich als vergänglich, so besteht es zugleich fort kraft seiner Rationalität. … Das Selbst trotzt der Auflösung in blinde Natur sich ab, deren Anspruch das Opfer stets wieder anmeldet. … Das identisch beharrende Selbst, das in der Überwindung des Opfers entspringt, ist … ein … Opferritual, das der Mensch, indem er dem Naturzusammenhang sein Bewußtsein entgegensetzt, sich selber zelebriert. (Dialektik der Aufklärung, Exkurs I) Doch mit der Herrschaft über die außermenschliche Natur und über andere Menschen geht eine Verleugnung der Natur im Menschen einher. Eben diese Verleugnung, der Kern aller zivilisatorischen Rationalität, ist die Zelle der fortwuchernden mythischen Irrationalität: mit der Verleugnung der Natur im Menschen wird nicht bloß das Telos der auswendigen Naturbetrachtung, sondern das Telos des eigenen Lebens verwirrt und undurchsichtig. (ebd., Exkurs I) Nur in der Vermittlung, in der das nichtige Sinnesdatum [das Ich] den Gedanken zur ganzen Produktion bringt … und andererseits der Gedanke vorbehaltslos dem übermächtigen Eindruck sich hingibt, wird die kranke Einsamkeit überwunden, in der die ganze Natur befangen ist. Allein im bewusst reflektierten Gegensatz von Wahrnehmung und Gegenstand zeigt die Möglichkeit von Versöhnung sich an. (ebd., Elemente des Antisemitismus, VI) – In der Heterologie geht es um Reflexion in beide Richtungen, d. h. um die Differenz (ebd.) zwischen sich selbst und dem Anderen. – Ein selbständiges Gegenüber gibt es nur für den Menschen und zu dieser Urdistanzierung gesellt sich als Grundakt eine zweite Bewegung, das In-Beziehungtreten. (Martin Buber: Urdistanz und Beziehung, 1950)
Dialektik: das sachliche Gespräch als die Methodik der Wissenschaft
Verteilungsgerechtigkeit: Ökonomie versus Chrematistik – und das Mandeville-Paradoxon der Neuzeit (s.: Bernard Mandeville, Der murrende Bienenstock oder wie Schurken redlich wurden, 1705. Downloads: Dt. Übersetzung / Engl. Original)
Das Adam Smith Rätsel, die Ausblendung des Chrematistik-Problems durch die Neoklassiker und die heutige Tendenz einer Regression in einen Neo-Merkantilismus durch Insuffizienz der aktuell neoliberalen Theoreme
Der liberale Gesellschaftsvertrag: Ehrlichkeit, Transparenz und politisches Verantwortungsbewusstsein aller Unternehmer als notwendige Voraussetzung erfolgreichen Wirtschaftens
Der Deutsche Idealismus bei Immanuel Kant und Johann Gottlieb Fichte: Subjektivistische Tugendhaftigkeit contra objektivistische Subordination
Faschismusforschung (Materialismus.2): Nationalismus als natürlich notwendige Folge des ethischen Werteverlusts durch die kapitalistische Industrialisierung (seit Ende des 18. Jh.) und ein daraus resultierender Terror der Gewalt (20. Jh.)
Notwendigkeit globaler Regeln: Menschenrecht und ökologische Standards, sowie die Ersetzung von blindlings pragmatischem Denken durch theoretische Bildung (bios theoretikos)
Diskurs-Thematik ab 2016
Wie Sprache Wirklichkeit wird –
das dialogische Prinzip (nach M. Buber, 1878 – 1965)
Einzelthemen
Nur durch eine Bezogenheit auf Anderes kann Realität (Dinglichkeit, Gegenständlichkeit) wirklich sein. Gleiches gilt für Ideen (Gedachtes). Eine Erkenntnis entsteht nicht innerhalb eines Subjekts, sondern ist als die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt selbst zu verstehen. Die Dialogphilosophie nach Martin Buber versteht sich als echte Alternative zu Subjekt- und Bewusstseinsphilosophie.
Der Begriff der Begegnung ist auf dem Wege meines Denkens aus der Kritik des Erlebnisbegriffs, dem ich in meiner Jugend anhing, aus einer radikalen Selbstberichtigung entstanden. ›Erlebnis‹ gehört der exklusiv individuierten psychischen Sphäre an; ›Begegnung‹ oder vielmehr, wie ich zumeist zu sagen vorziehe, […] ›Beziehung‹ transzendiert diese Sphäre von den Ursprüngen an. (Buber, Werke. Bd. III, 1963, S. 610) S.a. Bubers Zur Geschichte des dialogischen Prinzips von 1954 (u.a. in: Werke. Bd. I, S. 291 ff.).
In Beziehung treten vermag man in zwei völlig unterschiedlichen Haltungen: In der sog. Ich-Es-Haltung biegt sich der Mensch vor der Wirklichkeit zurück. Der oder das Andere (die Anderheit) wird gesondert als objektive oder subjektive Realität erfasst. In der Ich-Du-Haltung hingegen wendet sich der Mensch zur Anderheit hin und lässt sich von ihr ansprechen. Erst diese wirklichkeitsbezogene, d.h. dialogische, Haltung ermöglicht echte Begegnung. Begegnung ist nach Buber dadurch gekennzeichnet, dass die Ansprache eines Gegenübers eine Antwort erheischt. Man wird in Verantwortung genommen: Den Anspruch vernehmen, durch welchen Mißklang auch er an dein Ohr stößt, – und dir von niemand dreinreden lassen! (Buber, Die Frage an den Einzelnen, 1936)
Merkmal einer echten Begegnung ist der Ausschluss jeglicher Sondierung und Orientierung (s. Thema 15). Eine Begegnung stellt sich insofern räumlich unumgrenzt und zeitlos dar. Martin Buber verwendet zu ihrer adverbialen Bestimmung den Ausdruck Zwischen, nicht etwa Zwischenraum. (Heutzutage würde man Begegnung wahrscheinlich in einen sog. Kommunikationsraum verorten.) Hier ist die Wirklichkeit zuhause, hier und nur hier findet Kreativität statt, generiert sich das Leben: Der Duwelt steht die gestaltende Macht zu: der Geist kann die Eswelt durchdringen und verwandeln. (Buber, Ich und Du, 1923) Bubers Zwischen meint die Weltbezogenheit schlechthin. Das Zwischen ist nicht eine Hilfskonstruktion, sondern wirklicher Ort und Träger zwischenmenschlichen Geschehens; es hat die spezifische Beachtung nicht gefunden, weil es zum Unterschied von Individualseele und Umwelt keine schlichte Kontinuität aufweist, sondern sich nach Maßgabe der menschlichen Begegnungen jeweils neu konstituiert; man hat daher naturgemäß, was ihm zukommt, an die kontinuierlichen Elemente, Seele und Welt, angeschlossen. (Buber, Das Problem des Menschen, hebr. 1943, dt. 1947)
Dem Menschen ist eine besondere Seinsweise, somit eine eigne Kategorie des Seins zu eigen. Dieses Sondersein beruht auf seiner Abgehobenheit von der Natur (nicht innerhalb der Natur, aber von ihr aus). – Er ist das einzige uns bekannte Wesen, das sich die Welt und ihre Bestandteile als Für-sich-Seiendes vorstellt: Ein selbständiges Gegenüber […] gibt es nur für den Menschen. Zu dieser Urdistanzierung gesellt sich als Grundakt eine zweite Bewegung, das In-Beziehungtreten […]. Daß die erste die Voraussetzung der zweiten ist, ergibt sich daraus, daß man nur zu distanziertem Seienden, genauer: zu einem ein selbständiges Gegenüber gewordenen, in Beziehung treten kann. (Martin Buber, Urdistanz und Beziehung, 1950)
Durch die Urdistanzierung, nämlich dadurch, dass der Mensch sich und die Anderheit als Für-sich-Seiende aus dem Weltganzen herauslöst, ist der Mensch gezwungen die verlorene Verbundenheit durch ein Bilden von geistigen Beziehungen zu ersetzen. Letztendlich erweist sich alles Sein als unendliches Beziehungsgeflecht, so auch das Menschsein selbst. (Zu innerliche Kommunikation vgl. Thema 14 ff.)
Buber unterscheidet in Zwiesprache (1930) drei Wahrnehmungseigenschaften des Menschen: Das Beobachten, das Betrachten und das Innewerden (s. Thema 16). Als Methoden der Menschlichkeit finden sich das Entscheiden (Thema 8) und das Verantworten (Thema 3).
In der Entscheidung entscheidet sich die entzweite Welt zur Einheit (Buber, Der Geist des Orients und das Judentum, Vortrag in Prag, 1912) Entscheidungen zielen im wahrsten Sinne des Wortes (also: dialogisch) stets auf eine Ganzheitlichkeit hin. Durch eine Entscheidung wird eine Geschiedenheit ins Einvernehmliche überführt. Entschiedenheit ist neben dem In-Verantwortung-Genommensein (s. Themen 3 u. 7) wesentliche Voraussetzung für einen echten Dialog. Auch selbst die Verantwortung folgt dem Prinzip der Entscheidung.
Präontische Verbundenheit (das sog. Unbewusste)
Anthropogenese (aus: Urdistanz und Beziehung)
Bewusstwerdung aus dem Zwischen (Protokolle von 1957–60)
Zusammenfassung des Bisherigen (das Zwischenmenschliche)
Ausblick: Martin Buber und die Sozialphilosophie (2. Quartal)
Auch George Herbert Mead geht von der Konstituierung des Selbstbewusstseins durch Kommunikation und Interaktion aus. Beide, Buber wie Mead, wurden inspiriert durch die damaligen Ergebnisse der Laut-und-Gebärde-Forschung Wilhelm Wundts. Der Einzelne wird nach Buber nicht wie bei Meads pragmatischem Selbst-Konzept nur durch das Soziale bestimmt, sondern durch seine Selbstbestimmung als individuelles Fur-sich-Seiendes wird der Einzelne per Dialog auch zum Gestalter des Sozialen. Buber unterscheidet hierbei Individualität und Person. Das Selbstgespräch (das Denken) ist für Buber im Ggs. zu Mead kein persönlicher Dialog, sondern als bloß individuell vorgestelltes ein Monolog. Monolog konnte immer erst werden, nachdem Dialog abbrach oder zerbrach. (Buber, Das Wort, das gesprochen wird, 1960) Bubers Dialogik zielt gerade auf das Zweifelhafte und das im menschlichen Mit- und Nebeneinander Unvereinbare. Es geht um das Entdecken des Fremden, Individuellen, es zum Vorschein zu bringen und persönlich gelten zu lassen, und schon gar nicht um dessen Auflösung. Gleichwohl werden im Dialog sowohl zwischenmenschliche als auch innerliche Gräben überwunden.
Als philosophiegeschichtlicher Ausgangspunkt für Bubers Unterscheidung von Ich-Es- und Ich-Du-Haltung lassen sich Bergsons Untersuchungen über die Erlebniszeit (durée réelle), zuerst in: Essai sur les donées immédiates de la conscience (1889), bestimmen. Bei Buber tritt anstelle des Erlebens die Begegnung in den Vordergrund. Bergsons Dauer entpuppt sich in der Begegnung als Zeitlosigkeit, als Gegenwart. Interessant dabei ist Bergsons souvenir du présent (aus: Le souvenir da présent et la fausse reconnaissance, 1908, in: L’énergie spirituelle, 1919), und Husserls Retention (1905): Der zeitlos durchdrungene und räumlich verschmolzene Erlebnisinhalt einer durée concrète hinterlässt als durée réelle einen Nachklang (Retention/Souvenir), der sich erst als solcher kognitiv erfassen und weiterverarbeiten lässt.
Als wesentliche Wahrnehmungseigenschaft des Menschen in einer Begegnung definiert Buber 1930 das Innewerden (vgl. Thema 7), ein Begriff, der später auch in Carl Jaspers Existenzphilosophie eine Rolle spielt (obwohl nicht mehr ganz im Buberschen Sinn intrinsischer Wirklichkeit): Wir […] überschreiten die bestimmte Gegenständlichkeit zum Innewerden [sic!] des sie Umgreifenden; es wäre daher möglich, jede Weise des Umgreifenden eine Transzendenz zu nennen, nämlich gegenüber jedem in diesem Umgreifenden fassbar Gegenständlichen. (C. Jasper, Von der Wahrheit, 1947, S. 140) – Auch Husserls Epoché verwendet einen Tranzendenzbegriff. – Allerdings setzt sich Bubers Dialogik deutlich von solchen Konzepten ab, die von einem (objektiven oder subjektiven) Selbst ausgehen und infolge dessen ein Transzendieren benötigen. In der Tat bezeichnet Innewerden ein Umgriffensein durch die Wirklichkeit (Aktualität), somit ist es der Wirklichkeit inhärent. Tranzendieren aber könnte nur ein bewusstes Erkennen, dies ist jedoch in einer Begegnung gerade ausgeschlossen (Thema 4). Innewerden ist folglich erkenntnisloses Wahrnehmen. Eine Erkenntnis kann erst im nachhinein gewonnen werden, nämlich erst dann, wenn auf die sog. Retention (Thema 15) hin reflektiert und damit die Wahrnehmung auf den Bewusstseinsakt des Betrachtens oder des Beobachtens zurückgebogen wird. (Thema 7) [N]ur aus dem Gedächtnis der Beziehung, traumhaft oder bildhaft oder gedankenhaft je nach der Art dieses Menschen, ergänzt er den Kern, der sich im Du gewaltig, alle Eigenschaften umschließend offenbarte, die Substanz. Nun erst aber auch stellt er die Dinge in einen räumlich-zeitlich-ursächlichen Zusammenhang, nun erst bekommt jedes seinen Platz, seinen Ablauf, seine Meßbarkeit, seine Bedingtheit. (Buber, Ich und Du, 1923) – Husserls eidetische Reduktion (Epoché) entspringt hingegen noch einer mehr monologischen Verfahrensweise.
Mit den mikroaktualen Veränderungen gehen auch makroaktuale Veränderungen einher. Jean Gebser beschreibt für unser Zeitalter einen Übergang des Bewusstseins vom Mentalen ins Integrale: Während die Wirklichkeit schlechthin keiner Verwandlung unterworfen ist, da sie selber nichts als stete Wandlung zu sein scheint, […] unterliegt, was wir für Wirklichkeit halten, von Lebensalter zu Lebensalter und von Generation zu Generation einer Veränderung. Diese Veränderung ist gemeint, welche hin und wieder derart einschneidend ist, daß wir genötigt sind, sie als Verwandlung anzuerkennen: als Verwandlung unserer selbst, vornehmlich unseres Bewußtseins, und damit der Weise, wie wir die Wirklichkeit betrachten. (J. Gebser, In der Bewährung, Bern 19611, Francke Verlag, Bern und München 21969, S. 10)
Anderheit (Martin Buber) und Alter Ego (Max Scheler), ein Vergleich
Dialogische Alltagspraxis – Schweigen und Gespräch
Machen wir Ernst mit dem Denken zwischen Ich und Du, dann ist es nicht genug, auf das gedachte andre Denksubjekt hin zu denken: man müßte, auch mit dem Denken, eben mit dem Denken, auf den andern nicht gedachten, sondern leibhaft vorhandenen Menschen hin leben, auf seine Konkretheit hin [,…] auf seine Person. (Martin Buber, Zwiesprache, 1930)